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П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

s Hand, und die Tьr leise schloЯ. Es war die Pflegerin, die hier gewartet hatte. »Es ist nichts geschehen«, flьsterte sie, »ich habe nur einen Teller gegen die Mauer geworfen, um Sie herauszuholen.« In seiner Befangenheit sagte K.: »Ich habe auch an Sie gedacht.« »Desto besser«, sagte die Pflegerin, »kommen Sie.« Nach ein paar Schritten kamen sie zu einer Tьr aus mattem Glas, welche die Pflegerin vor K. цffnete. »Treten Sie doch ein«, sagte sie. Es war jedenfalls das Arbeitszimmer des Advokaten; soweit man im Mondlicht sehen konnte, das jetzt nur einen kleinen, viereckigen Teil des FuЯbodens an jedem der drei groЯen Fenster erhellte, war es mit schweren, alten Mцbelstьcken ausgestattet. »Hierher«, sagte die Pflegerin und zeigte auf eine dunkle Truhe mit holzgeschnitzter Lehne. Noch als er sich gesetzt hatte, sah sich K. im Zimmer um, es war ein hohes, groЯes Zimmer, die Kundschaft des Armenadvokaten muЯte sich hier verloren vorkommen. K. glaubte, die kleinen Schritte zu sehen, mit denen die Besucher zu dem gewaltigen Schreibtisch vorrьckten. Dann aber vergaЯ er dies und hatte nur noch Augen fьr die Pflegerin, die ganz nahe neben ihm saЯ und ihn fast an die Seitenlehne drьckte. »Ich dachte«, sagte sie, »Sie wьrden von selbst zu mir herauskommen, ohne daЯ ich Sie erst rufen mьЯte. Es war doch merkwьrdig. Zuerst sahen Sie mich gleich beim Eintritt ununterbrochen an und dann lieЯen Sie mich warten. Nennen Sie mich ьbrigens Leni«, fьgte sie noch rasch und unvermittelt zu, als solle kein Augenblick dieser Aussprache versдumt werden. »Gern«, sagte K., »Was aber die Merkwьrdigkeit betrifft, Leni, so ist sie leicht zu erklдren. Erstens muЯte ich doch das Geschwдtz der alten Herren anhцren und konnte nicht grundlos weglaufen, zweitens aber bin ich nicht frech, sondern eher schьchtern, und auch Sie, Leni, sahen wahrhaftig nicht so aus, als ob Sie in einem Sprung zu gewinnen wдren.« »Das ist es nicht«, sagte Leni, legte den Arm ьber die Lehne und sah K. an, »aber ich gefiel Ihnen nicht und gefalle Ihnen auch wahrscheinlich jetzt nicht.« »Gefallen wдre ja nicht viel«, sagte K. ausweichend. »Oh!« sagte sie lдchelnd und gewann durch K.s Bemerkung und diesen kleinen Ausruf eine gewisse Ьberlegenheit. Deshalb schwieg K. ein Weilchen. Da er sich an das Dunkel im Zimmer schon gewцhnt hatte, konnte er verschiedene Einzelheiten der Einrichtung unterscheiden. Besonders fiel ihm ein groЯes Bild auf, das rechts von der Tьr hing, er beugte sich vor, um es besser zu sehen. Es stellte einen Mann im Richtertalar dar; er saЯ auf einem hohen Thronsessel, dessen Vergoldung vielfach aus dem Bilde hervorstach. Das Ungewцhnliche war, daЯ dieser Richter nicht in Ruhe und Wьrde dort saЯ, sondern den linken Arm fest an Rьcken– und Seitenlehne drьckte, den rechten Arm aber vцllig frei hatte und nur mit der Hand die Seitenlehne umfaЯte, als wolle er im nдchsten Augenblick mit einer heftigen und vielleicht empцrten Wendung aufspringen, um etwas Entscheidendes zu sagen oder gar das Urteil zu verkьnden. Der Angeklagte war wohl zu FьЯen der Treppe zu denken, deren oberste, mit einem gelben Teppich bedeckte Stufen noch auf dem Bilde zu sehen waren. »Vielleicht ist das mein Richter«, sagte K. und zeigte mit einem Finger auf das Bild. »Ich kenne ihn«, sagte Leni und sah auch zum Bilde auf, »er kommt цfters hierher. Das Bild stammt aus seiner Jugend, er kann aber niemals dem Bilde auch nur дhnlich gewesen sein, denn er ist fast winzig klein. Trotzdem hat er sich auf dem Bild so in die Lдnge ziehen lassen, denn er ist unsinnig eitel, wie alle hier. Aber auch ich bin eitel und sehr unzufrieden damit, daЯ ich Ihnen gar nicht gefalle.« Auf die letzte Bemerkung antwortete K. nur damit, daЯ er Leni umfaЯte und an sich zog, sie lehnte still den Kopf an seine Schulter. Zu dem Ьbrigen aber sagte er: »Was fьr einen Rang hat er?« »Er ist Untersuchungsrichter«, sagte sie, ergriff K.s Hand, mit der er sie umfaЯt hielt, und spielte mit seinen Fingern. »Wieder nur Untersuchungsrichter«, sagte K. enttдuscht, »die hohen Beamten verstecken sich. Aber er sitzt doch auf einem Thronsessel.« »Das ist alles Erfindung«, sagte Leni, das Gesicht ьber K.s Hand gebeugt, »in Wirklichkeit sitzt er auf einem Kьchensessel, auf dem eine alte Pferdedecke zusammengelegt ist. Aber mьssen Sie denn immerfort an Ihren ProzeЯ denken?« fьgte sie langsam hinzu. »Nein, durchaus nicht«, sagte K., »ich denke wahrscheinlich sogar zu wenig an ihn.« »Das ist nicht der Fehler, den Sie machen«, sagte Leni, »Sie sind zu unnachgiebig, so habe ich es gehцrt.« »Wer hat das gesagt?« fragte K., erfьhlte ihren Kцrper an seiner Brust und sah auf ihr reiches, dunkles, fest gedrehtes Harr hinab. »Ich wьrde zuviel verraten, wenn ich das sagte«, antwortete Leni. »Fragen Sie, bitte, nicht nach Namen, stellen Sie aber Ihren Fehler ab, seien Sie nicht mehr so unnachgiebig, gegen dieses Gericht kann man sich ja nicht wehren, man muЯ das Gestдndnis machen. Machen Sie doch bei nдchster Gelegenheit das Gestдndnis. Erst dann ist die Mцglichkeit zu entschlьpfen gegeben, erst dann. Jedoch selbst das ist ohne fremde Hilfe nicht mцglich, wegen dieser Hilfe aber mьssen Sie sich nicht дngstigen, die will ich Ihnen selbst leisten.« »Sie verstehen viel von diesem Gericht und von den Betrьgereien, die hier nцtig sind«, sagte K. und hob sie, da sie sich allzu stark an ihn drдngte, auf seinen SchoЯ. »So ist es gut«, sagte sie und richtete sich auf seinem SchoЯ ein, indem sie den Rock glдttete und die Bluse zurechtzog. Dann hing sie sich mit beiden Hдnden an seinen Hals, lehnte sich zurьck und sah ihn lange an. »Und wenn ich das Gestдndnis nicht mache, dann kцnnen Sir mir nicht helfen?« fragte K. versuchsweise. Ich werbe Helferinnen, dachte er fast verwundert, zuerst Frдulein Bьrstner, dann die Frau des Gerichtsdieners und endlich diese kleine Pflegerin, die ein unbegreifliches Bedьrfnis nach mir zu haben scheint. Wie sie auf meinem SchoЯ sitzt, als sei es ihr einzig richtiger Platz! »Nein«, antwortete Leni und schьttelte langsam den Kopf, »dann kann ich Ihnen nicht helfen. Aber Sie wollen ja meine Hilfe gar nicht, es liegt Ihnen nichts daran, Sie sind eigensinnig und lassen sich nicht ьberzeugen.« »Haben Sie eine Geliebte?« fragte sie nach einem Weilchen. »Nein«, sagte K. »O doch«, sagte sie. »Ja wirklich«, sagte K., »denken Sie nur, ich habe sie verleugnet und trage doch sogar ihre Photographie bei mir.« Auf ihre Bitten zeigte er ihr eine Photographie Elsas, zusammengekrьmmt auf seinem SchoЯ, studierte sie das Bild. Es war eine Momentphotographie, Elsa war nach einem Wirbeltanz aufgenommen, wie sie ihn in dem Weinlokal gern tanzte, ihr Rock flog noch im Faltenwurf der Drehung um sie her, die Hдnde hatte sie auf die festen Hьften gelegt und sah mit straffem Hals lachend zur Seite; wem ihr Lachen galt, konnte man aus dem Bild nicht erkennen. »Sie ist stark geschnьrt«, sagte Leni und zeigte auf die Stelle, wo dies ihrer Meinung nach zu sehen war. »Sie gefдllt mir nicht, sie ist unbeholfen und roh. Vielleicht ist sie aber Ihnen gegenьber sanft und freundlich, darauf kцnnte man nach dem Bilde schlieЯen. So groЯe, starke Mдdchen wissen oft nichts anderes, als sanft und freundlich zu sein. Wьrde sie sich aber fьr Sie opfern kцnnen?« »Nein«, sagte K., »sie ist weder sanft und freundlich, noch wьrde sie sich fьr mich opfern kцnnen. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehen wie Sie.« »Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr«, sagte Leni, »sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.« »Doch«, sagte K. »Ich nehme mein Wort nicht zurьck.« »Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein«, sagte Leni, »Sie wьrden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlцren oder fьr jemand anderen, zum Beispiel fьr mich, eintauschten.« »GewiЯ«, sagte K. lдchelnd, »das wдre denkbar, aber sie hat einen groЯen Vorteil Ihnen gegenьber, sie weiЯ nichts von meinem ProzeЯ, und selbst wenn sie etwas davon wьЯte, wьrde sie nicht daran denken. Sie wьrde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu ьberreden suchen.« »Das ist kein Vorteil«, sagte Leni. »Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen kцrperlichen Fehler?« »Einen kцrperlichen Fehler?« fragte K. »Ja«, sagte Leni, »ich habe nдmlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.« Sie spannte den Mittelund Ringfinger ihrer rechten Hand auseinander, zwischen denen das Verbindungshдutchen fast bis zum obersten Gelenk der kurzen Finger reichte. K. merkte im Dunkel nicht gleich, was sie ihm zeigen wollte, sie fьhrte deshalb seine Hand hin, damit er es abtaste. »Was fьr ein Naturspiel«, sagte K. und fьgte, als er die ganze Hand ьberblickt hatte, hinzu: »Was fьr eine hьbsche Kralle!« Mit einer Art Stolz sah Leni zu, wie K. staunend immer wieder ihre zwei Finger auseinanderzog und zusammenlegte, bis er sie schlieЯlich flьchtig kьЯte und loslieЯ. »Oh!« rief sie aber sofort, »Sie haben mich gekьЯt!« Eilig, mit offenem Mund erkletterte sie mit den Knien seinen SchoЯ. K. sah fast bestьrzt zu ihr auf, jetzt, da sie ihm so nahe war, ging ein bitterer, aufreizender Geruch wie von Pfeffer von ihr aus, sie nahm seinen Kopf an sich, beugte sich ьber ihn hinweg und biЯ und kьЯte seinen Hals, biЯ selbst in seine Haare. »Sie haben mich eingetauscht!« rief sie von Zeit zu Zeit, »sehen Sie, nun haben Sie mich eingetauscht!« Da glitt ihr Knie aus, mit einem kleinen Schrei fiel sie fast auf den Teppich, K. umfaЯte sie, um sie noch zu halten, und wurde zu ihr hinabgezogen. »Jetzt gehцrst du mir«, sagte sie.
»Hier hast du den Hausschlьssel, komm, wann du willst«, waren ihre letzten Worte, und ein zielloser KuЯ traf ihn noch im Weggehen auf den Rьcken. Als er aus dem Haustor trat, fiel ein leichter Regen, er wollte in die Mitte der StraЯe gehen, um vielleicht Leni noch beim Fenster erblicken zu kцnnen, da stьrzte aus einem Automobil, das vor dem Hause wartete und das K. in seiner Zerstreutheit gar nicht bemerkt hatte, der Onkel, faЯte ihn bei den Armen und stieЯ ihn gegen das Haustor, als wolle er ihn dort festnageln. »Junge«, rief er, »wie konntest du nur das tun! Du hast deiner Sache, die auf gutem Wege war, schrecklich geschadet. Verkriechst dich mit einem kleinen, schmutzigen Ding, das ьberdies offensichtlich die Geliebte des Advokaten ist, und bleibst stundenlang weg. Suchst nicht einmal einen Vorwand, verheimlichst nichts, nein, bist ganz offen, lдufst zu ihr und bleibst bei ihr. Und unterdessen sitzen wir beisammen, der Onkel, der sich fьr dich abmьht, der Advokat, der fьr dich gewonnen werden soll, der Kanzleidirektor vor allem, dieser groЯe Herr, der deine Sache in ihrem jetzigen Stadium geradezu beherrscht. Wir wollen beraten, wie dir zu helfen wдre, ich muЯ den Advokaten vorsichtig behandeln, dieser wieder den Kanzleidirektor, und du hдttest doch allen Grund, mich wenigstens zu unterstьtzen. Statt dessen bleibst du fort. SchlieЯlich lдЯt es sich nicht verheimlichen, nun, es sind hцfliche, gewandte Mдnner, sie sprechen nicht davon, sie schonen mich, schlieЯlich kцnnen aber auch sie sich nicht mehr ьberwinden, und da sie von der Sache nicht reden kцnnen, verstummen sie. Wir sind minutenlang schweigend dagesessen und haben gehorcht, ob du nicht doch endlich kдmest. Alles vergebens. Endlich steht der Kanzleidirektor, der viel lдnger geblieben ist, als er ursprьnglich wollte, auf, verabschiedet sich, bedauert mich sichtlich, ohne mir helfen zu kцnnen, wartet in unbegreiflicher Liebenswьrdigkeit noch eine Zeitlang in der Tьr, dann geht er. Ich war natьrlich glьcklich, daЯ er weg war, mir war schon die Luft zum Atmen ausgegangen. Auf den kranken Advokaten hat alles noch stдrker eingewirkt, er konnte, der gute Mann, gar nicht sprechen, als ich mich von ihm verabschiedete. Du hast wahrscheinlich zu seinem vollstдndigen Zusammenbrechen beigetragen und beschleunigst so den Tod eines Mannes, auf den du angewiesen bist. Und mich, deinen Onkel, lдЯt du hier im Regen – fьhle nur, ich bin ganz durchnдЯt – stundenlang warten und mich in Sorgen abquдlen.

Siebentes Kapitel Advokat, Fabrikant, Maler

An einem Wintervormittag – drauЯen fiel Schnee im trьben Licht – saЯ K., trotz der frьhen Stunde schon дuЯerst mьde, in seinem Bьro. Um sich wenigstens vor den unteren Beamten zu schьtzen, hatte er dem Diener den Auftrag gegeben, niemanden von ihnen einzulassen, da er mit einer grцЯeren Arbeit beschдftigt sei. Aber statt zu arbeiten, drehte er sich in seinem Sessel, verschob langsam einige Gegenstдnde auf dem Tisch, lieЯ dann aber, ohne es zu wissen, den ganzen Arm ausgestreckt auf der Tischplatte liegen und blieb mit gesenktem Kopf unbeweglich sitzen.
Der Gedanke an den ProzeЯ verlieЯ ihn nicht mehr. Цfters schon hatte er ьberlegt, ob es nicht gut wдre, eine Verteidigungsschrift auszuarbeiten und bei Gericht einzureichen. Er wollte darin eine kurze Lebensbeschreibung vorlegen und bei jedem irgendwie wichtigeren Ereignis erklдren, aus welchen Grьnden er so gehandelt hatte, ob diese Handlungsweise nach seinem gegenwдrtigen Urteil zu verwerfen oder zu billigen war und welche Grьnde er fьr dieses oder jenes anfьhren konnte. Die Vorteile einer solchen Verteidigungsschrift gegenьber der bloЯen Verteidigung durch den ьbrigens auch sonst nicht einwandfreien Advokaten waren zweifellos. K. wuЯte ja gar nicht, was der Advokat unternahm; viel war es jedenfalls nicht, schon einen Monat lang hatte er ihn nicht mehr zu sich berufen, und auch bei keiner der frьheren Besprechungen hatte K. den Eindruck gehabt, daЯ dieser Mann viel fьr ihn erreichen kцnne. Vor allem hatte er ihn fast gar nicht ausgefragt. Und hier war doch so viel zu fragen. Fragen war die Hauptsache. K. hatte das Gefьhl, als ob er selbst alle hier nцtigen Fragen stellen kцnnte. Der Advokat dagegen, statt zu fragen, erzдhlte selbst oder saЯ ihm stumm gegenьber, beugte sich, wahrscheinlich wegen seines schwachen Gehцrs, ein wenig ьber den Schreibtisch vor, zog an einem Bartstrahn innerhalb seines Bartes und blickte auf den Teppich nieder, vielleicht gerade auf die Stelle, wo K. mit Leni gelegen war. Hier und da gab er K. einige leere Ermahnungen, wie man sie Kindern gibt. Ebenso nutzlose wie langweilige Reden, die K. in der SchluЯabrechnung mit keinem Heller zu bezahlen gedachte. Nachdem der Advokat ihn genьgend gedemьtigt zu haben glaubte, fing er gewцhnlich an, ihn wieder ein wenig aufzumuntern. Er habe schon, erzдhlte er dann, viele дhnliche Prozesse ganz oder teilweise gewonnen. Prozesse, die, wenn auch in Wirklichkeit vielleicht nicht so schwierig wie dieser, дuЯerlich noch hoffnungsloser waren. Ein Verzeichnis dieser Prozesse habe er hier in der Schublade – hierbei klopfte er an irgendeine Lade des Tisches –, die Schriften kцnne er leider nicht zeigen, da es sich um Amtsgeheimnisse handle. Trotzdem komme jetzt natьrlich die groЯe Erfahrung, die er durch alle diese Prozesse erworben habe, K. zugute. Er habe natьrlich sofort zu arbeiten begonnen, und die erste Eingabe sei schon fast fertiggestellt. Sie sei sehr wichtig, weil der erste Eindruck, den die Verteidigung mache, oft die ganze Richtung des Verfahrens bestimme. Leider, darauf mьsse er K. allerdings aufmerksam machen, geschehe es manchmal, daЯ die ersten Eingaben bei Gericht gar nicht gelesen wьrden. Man lege sie einfach zu den Akten und weise darauf hin, daЯ vorlдufig die Einvernahme und Beobachtung des Angeklagten wichtiger sei als alles Geschriebene. Man fьgt, wenn der Petent dringlich wird, hinzu, daЯ man vor der Entscheidung, sobald alles Material gesammelt ist, im Zusammenhang natьrlich, alle Akten, also auch diese erste Eingabe, ьberprьfen wird. Leider sei aber auch dies meistens nicht richtig, die erste Eingabe werde gewцhnlich verlegt oder gehe gдnzlich verloren, und selbst wenn sie bis zum Ende erhalten bleibt, werde sie, wie der Advokat allerdings nur gerьchtweise erfahren hat, kaum gelesen. Das alles sei bedauerlich, aber nicht ganz ohne Berechtigung. K. mцge doch nicht auЯer acht lassen, daЯ das Verfahren nicht цffentlich sei, es kann, wenn das Gericht es fьr nцtig hдlt, цffentlich werden, das Gesetz aber schreibt Цffentlichkeit nicht vor. Infolgedessen sind auch die Schriften des Gerichts, vor allem die Anklageschrift, dem Angeklagten und seiner Verteidigung unzugдnglich, man weiЯ daher im allgemeinen nicht oder wenigstens nicht genau, wogegen sich die erste Eingabe zu richten hat, sie kann daher eigentlich nur zufдlligerweise etwas enthalten, was fьr die Sache von Bedeutung ist. Wirklich zutreffende und beweisfьhrende Eingaben kann man erst spдter ausarbeiten, wenn im Laufe der Einvernahmen des Angeklagten die einzelnen Anklagepunkte und ihre Begrьndung deutlicher hervortreten oder erraten werden kцnnen. Unter diesen Verhдltnissen ist natьrlich die Verteidigung in einer sehr ungьnstigen und schwierigen Lage. Aber auch das ist beabsichtigt. Die Verteidigung ist nдmlich durch das Gesetz nicht eigentlich gestattet, sondern nur geduldet, und selbst darьber, ob aus der betreffenden Gesetzesstelle wenigstens Duldung herausgelesen werden soll, besteht Streit. Es gibt daher strenggenommen gar keine vom Gericht anerkannten Advokaten, alle, die vor diesem Gericht als Advokaten auftreten, sind im Grunde nur Winkeladvokaten. Das wirkt natьrlich auf den ganzen Stand sehr entwьrdigend ein, und wenn K. nдchstens einmal in die Gerichtskanzleien gehen werde, kцnne er sich ja, um auch das einmal gesehen zu haben, das Advokatenzimmer ansehen. Er werde vor der Gesellschaft, die dort beisammen sei, vermutlich erschrecken. Schon die ihnen zugewiesene enge, niedrige Kammer zeige die Verachtung, die das Gericht fьr diese Leute hat. Licht bekommt die Kammer nur durch eine kleine Luke, die so hochgelegen ist, daЯ man, wenn man hinausschauen will, wo einem ьbrigens der Rauch eines knapp davor gelegenen Kamins in die Nase fдhrt und das Gesicht schwдrzt, erst einen Kollegen suchen muЯ, der einen auf den Rьcken nimmt. Im FuЯboden dieser Kammer – um nur noch ein Beispiel fьr diese Zustдnde anzufьhren – ist nun schon seit mehr als einem Jahr ein Loch, nicht so groЯ, daЯ ein Mensch durchfallen kцnnte, aber groЯ genug, daЯ man mit einem Bein ganz einsinkt. Das Advokatenzimmer liegt auf dem zweiten Dachboden; sinkt also einer ein, so hдngt das Bein in den ersten Dachboden hinunter, und zwar gerade in den Gang, wo die Parteien warten. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man in Advokatenkreisen solche Verhдltnisse schдndlich nennt. Beschwerden an die Verwaltung haben nicht den geringsten Erfolg, wohl aber ist es den Advokaten auf das strengste verboten, irgend etwas in dem Zimmer auf eigene Kosten дndern zu lassen. Aber auch diese Behandlung der Advokaten hat ihre Begrьndung. Man will die Verteidigung mцglichst ausschalten, alles soll auf den Angeklagten selbst gestellt sein. Kein schlechter Standpunkt im Grunde, nichts wдre aber verfehlter, als daraus zu folgern, daЯ bei diesem Gericht die Advokaten fьr den Angeklagten unnцtig sind. Im Gegenteil, bei keinem anderen Gericht sind sie so notwendig wie bei diesem. Das Verfahren ist nдmlich im allgemeinen nicht nur vor der Цffentlichkeit geheim, sondern auch vor dem Angeklagten. Natьrlich nur soweit dies mцglich ist, es ist aber in sehr weitem AusmaЯ mцglich. Auch der Angeklagte hat nдmlich keinen Einblick in die Gerichtsschriften, und aus den Verhцren auf die ihnen zugrunde liegenden Schriften zu schlieЯen, ist sehr schwierig, insbesondere aber fьr den Angeklagten, der doch befangen ist und alle mцglichen Sorgen hat, die ihn zerstreuen. Hier greift nun die Verteidigung ein. Bei den Verhцren dьrfen im allgemeinen Verteidiger nicht anwesend sein, sie mьssen daher nach den Verhцren, und zwar mцglichst noch an der Tьr des Untersuchungszimmers, den Angeklagten ьber das Verhцr ausforschen und diesen oft schon sehr verwischten Berichten das fьr die Verteidigung Taugliche entnehmen. Aber das Wichtigste ist dies nicht, denn viel kann man auf diese Weise nicht erfahren, wenn natьrlich auch hier wie ьberall ein tьchtiger Mann mehr erfдhrt als andere. Das Wichtigste bleiben trotzdem die persцnlichen Beziehungen des Advokaten, in ihnen liegt der Hauptwert der Verteidigung. Nun habe ja wohl K. schon seinen eigenen Erlebnissen entnommen, daЯ die allerunterste Organisation des Gerichtes nicht ganz vollkommen ist, pflichtvergessene und bestechliche Angestellte aufweist, wodurch gewissermaЯen die strenge AbschlieЯung des Gerichtes Lьcken bekommt. Hier nun drдngt sich die Mehrzahl der Advokaten ein, hier wird bestochen und ausgehorcht, ja es kamen, wenigstens in frьherer Zeit, sogar Fдlle von Aktendiebstдhlen vor. Es ist nicht zu leugnen, daЯ auf diese Weise fьr den Augenblick einige sogar ьberraschend gьnstige Resultate fьr den Angeklagten sich erzielen lassen, damit stolzieren auch diese kleinen Advokaten herum und locken neue Kundschaft an, aber fьr den weiteren Fortgang des Prozesses bedeutet es entweder nichts oder nichts Gutes. Wirklichen Wert aber haben nur ehrliche persцnliche Beziehungen, und zwar mit hцheren Beamten, womit natьrlich nur hцhere Beamten der unteren Grade gemeint sind. Nur dadurch kann der Fortgang des Prozesses, wenn auch zunдchst nur unmerklich, spдter aber immer deutlicher beeinfluЯt werden. Das kцnnen natьrlich nur wenige Advokaten, und hier sei die Wahl K.s sehr gьnstig gewesen. Nur noch vielleicht ein oder zwei Advokaten kцnnten sich mit дhnlichen Beziehungen ausweisen wie Dr. Huld. Diese kьmmern sich allerdings um die Gesellschaft im Advokatenzimmer nicht und haben auch nichts mit ihr zu tun. Um so enger sei aber die Verbindung mit den Gerichtsbeamten. Es sei nicht einmal immer nцtig, daЯ Dr. Huld zu Gericht gehe, in den Vorzimmern der Untersuchungsrichter auf ihr zufдlliges Erscheinen warte und je nach ihrer Laune einen meist nur scheinbaren Erfolg erziele oder auch nicht einmal diesen. Nein, K. habe es ja selbst gesehen, die Beamten, und darunter recht hohe, kommen selbst, geben bereitwillig Auskunft, offene oder wenigstens leicht deutbare, besprechen den nдchsten Fortgang der Prozesse, ja sie lassen sich sogar in einzelnen Fдllen ьberzeugen und nehmen die fremde Ansicht gern an. Allerdings dьrfe man ihnen gerade in dieser letzten Hinsicht nicht allzusehr vertrauen, so bestimmt sie ihre neue, fьr die Verteidigung gьnstige Absicht auch aussprechen, gehen sie doch vielleicht geradewegs in ihre Kanzlei und geben fьr den nдchsten Tag einen GerichtsbeschluЯ, der gerade das Entgegengesetzte enthдlt und vielleicht fьr den Angeklagten noch viel strenger ist als ihre erste Absicht, von der sie gдnzlich abgekommen zu sein behaupteten. Dagegen kцnne man sich natьrlich nicht wehren, denn das, was sie zwischen vier Augen gesagt haben, ist eben auch nur zwischen vier Augen gesagt und lasse keine цffentliche Folgerung zu, selbst wenn die Verteidigung nicht auch sonst bestrebt sein mьЯte, sich die Gunst der Herren zu erhalten. Andererseits sei es allerdings auch richtig, daЯ die Herren nicht etwa nur aus Menschenliebe oder aus freundschaftlichen Gefьhlen sich mit der Verteidigung, natьrlich nur mit einer sachverstдndigen Verteidigung, in Verbindung setzen, sie sind vielmehr in gewisser Hinsicht auch auf sie angewiesen. Hier mache sich eben der Nachteil einer Gerichtsorganisation geltend, die selbst in ihren Anfдngen das geheime Gericht festsetzt. Den Beamten fehlt der Zusammenhang mit der Bevцlkerung, fьr die gewцhnlichen, mittleren Prozesse sind sie gut ausgerьstet, ein solcher ProzeЯ rollt fast von selbst auf seiner Bahn ab und braucht nur hier und da einen AnstoЯ, gegenьber den ganz einfachen Fдllen aber, wie auch gegenьber den besonders schwierigen sind sie oft ratlos, sie haben, weil sie fortwдhrend, Tag und Nacht, in ihr Gesetz eingezwдngt sind, nicht den richtigen Sinn fьr menschliche Beziehungen, und das entbehren sie in solchen Fдllen schwer. Dann kommen sie zum Advokaten um Rat, und hinter ihnen trдgt ein Diener die Akten, die sonst so geheim sind. An diesem Fenster hдtte man manche Herren, von denen man es am wenigsten erwarten wьrde, antreffen kцnnen, wie sie geradezu trostlos auf die Gasse hinaussahen, wдhrend der Advokat an seinem Tisch die Akten studierte, um ihnen einen guten Rat geben zu kцnnen. Ьbrigens kцnne man gerade bei solchen Gelegenheiten sehen, wie ungemein ernst die Herren ihren Beruf nehmen und wie sie ьber Hindernisse, die sie ihrer Natur nach nicht bewдltigen kцnnen, in groЯe Verzweiflung geraten. Ihre Stellung sei auch sonst nicht leicht, man dьrfe ihnen nicht Unrecht tun und ihre Stellung nicht fьr leicht ansehen. Die Rangordnung und Steigerung des Gerichtes sei unendlich und selbst fьr den Eingeweihten nicht absehbar. Das Verfahren vor den Gerichtshцfen sei aber im allgemeinen auch fьr die unteren Beamten geheim, sie kцnnen daher die Angelegenheiten, die sie bearbeiten, in ihrem ferneren Weitergang kaum jemals vollstдndig verfolgen, die Gerichtssache erscheint also in ihrem Gesichtskreis, ohne daЯ sie oft wissen, woher sie kommt, und sie geht weiter, ohne daЯ sie erfahren, wohin. Die Belehrung also, die man aus dem Studium der einzelnen ProzeЯstadien, der schlieЯlichen Entscheidung und ihrer Grьnde schцpfen kann, entgeht diesen Beamten. Sie dьrfen sich nur mit jenem Teil des Prozesses befassen, der vom Gesetz fьr sie abgegrenzt ist, und wissen von dem Weiteren, also von den Ergebnissen ihrer eigenen Arbeit, meist weniger als die Verteidigung, die doch in der Regel fast bis zum SchluЯ des Prozesses mit dem Angeklagten in Verbindung bleibt. Auch in dieser Richtung also kцnnen sie von der Verteidigung manches Wertvolle erfahren. Wundere sich K. noch, wenn er alles dieses im Auge behalte, ьber die Gereiztheit der Beamten, die sich manchmal den Parteien gegenьber in – jeder mache diese Erfahrung – beleidigender Weise дuЯert. Alle Beamten seien gereizt, selbst wenn sie ruhig scheinen. Natьrlich haben die kleinen Advokaten besonders viel darunter zu leiden. Man erzдhlt zum Beispiel folgende Geschichte, die sehr den Anschein der Wahrheit hat. Ein alter Beamter, ein guter, stiller Herr, hatte eine schwierige Gerichtssache, welche besonders durch die Eingaben des Advokaten verwickelt worden war, einen Tag und eine Nacht ununterbrochen studiert – diese Beamten sind tatsдchlich fleiЯig, wie niemand sonst. – Gegen Morgen nun, nach vierundzwanzigstьndiger, wahrscheinlich nicht sehr ergiebiger Arbeit, ging er zur Eingangstьr, stellte sich dort in Hinterhalt und warf jeden Advokaten, der eintreten wollte, die Treppe hinunter. Die Advokaten sammelten sich unten auf dem Treppenabsatz und berieten, was sie tun sollten; einerseits haben sie keinen eigentlichen Anspruch darauf, eingelassen zu werden, kцnnen daher rechtlich gegen den Beamten kaum etwas unternehmen und mьssen sich, wie schon erwдhnt, auch hьten, die Beamtenschaft gegen sich aufzubringen. Andererseits aber ist jeder nicht bei Gericht verbrachte Tag fьr sie verloren, und es lag ihnen also viel daran einzudringen. SchlieЯlich einigten sie sich darauf, daЯ sie den alten Herrn ermьden wollten. Immer wieder wurde ein Advokat ausgeschickt, der die Treppe hinauflief und sich dann unter mцglichstem, allerdings passivem Widerstand hinunterwerfen lieЯ, wo er dann von den Kollegen aufgefangen wurde. Das dauerte etwa eine Stunde, dann wurde der alte Herr, er war ja auch von der Nachtarbeit schon erschцpft, wirklich mьde und ging in seine Kanzlei zurьck. Die unten wollten es erst gar nicht glauben und schickten zuerst einen aus, der hinter der Tьr nachsehen sollte, ob dort wirklich leer war. Dann erst zogen sie ein und wagten wahrscheinlich nicht einmal zu murren. Denn den Advokaten – und selbst der Kleinste kann doch die Verhдltnisse wenigstens zum Teil ьbersehen – liegt es vollstдndig ferne, bei Gericht irgendwelche Verbesserungen einfьhren oder durchsetzen zu wollen, wдhrend – und dies ist sehr bezeichnend – fast jeder Angeklagte, selbst ganz einfдltige Leute, gleich beim allerersten Eintritt in den ProzeЯ an Verbesserungsvorschlдge zu denken anfangen und damit oft Zeit und Kraft verschwenden, die anders viel besser verwendet werden kцnnten. Das einzig Richtige sei es, sich mit den vorhandenen Verhдltnissen abzufinden. Selbst wenn es mцglich wдre, Einzelheiten zu verbessern – es ist aber ein unsinniger Aberglaube –, hдtte man bestenfalls fьr kьnftige Fдlle etwas erreicht, sich selbst aber unermeЯlich dadurch geschadet, daЯ man die besondere Aufmerksamkeit der immer rachsьchtigen Beamtenschaft erregt hat. Nur keine Aufmerksamkeit erregen! Sich ruhig verhalten, selbst wenn es einem noch so sehr gegen den Sinn geht! Einzusehen versuchen, daЯ dieser groЯe Gerichtsorganismus gewissermaЯen ewig in der Schwebe bleibt und daЯ man zwar, wenn man auf seinem Platz selbstдndig etwas дndert, den Boden unter den FьЯen sich wegnimmt und selbst abstьrzen kann, wдhrend der groЯe Organismus sich selbst fьr die kleine Stцrung leicht an einer anderen Stelle – alles ist doch in Verbindung – Ersatz schafft und unverдndert bleibt, wenn er nicht etwa, was sogar wahrscheinlich ist, noch geschlossener, noch aufmerksamer, noch strenger, noch bцser wird. Man ьberlasse doch die Arbeit dem Advokaten, statt sie zu stцren. Vorwьrfe nьtzen ja nicht viel, besonders wenn man ihre Ursachen in ihrer ganzen Bedeutung nicht begreiflich machen kann, aber gesagt mьsse es doch werden, wieviel K. seiner Sache durch das Verhalten gegenьber dem Kanzleidirektor geschadet habe.
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