А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

Der Maler machte einen Sprung zur Tьr, цffnete sie bis zu einem Spalt – man sah die bittend vorgestreckten, gefalteten Hдnde der Mдdchen – und sagte: »Wenn ihr nicht still seid, werfe ich euch alle die Treppe hinunter. Setzt euch hier auf die Stufen und verhaltet euch ruhig.« Wahrscheinlich folgten sie nicht gleich, so daЯ er kommandieren muЯte: »Nieder auf die Stufen!« Erst dann wurde es still.
»Verzeihen Sie«, sagte der Maler, als er zu K. wieder zurьckkehrte. K. hatte sich kaum zur Tьr hingewendet, er hatte es vollstдndig dem Maler ьberlassen, ob und wie er ihn in Schutz nehmen wollte. Er machte auch jetzt kaum eine Bewegung, als sich der Maler zu ihm niederbeugte und ihm, um drauЯen nicht gehцrt zu werden, ins Ohr flьsterte: »Auch diese Mдdchen gehцren zum Gericht.« »Wie?« fragte K., wich mit dem Kopf zur Seite und sah den Maler an. Dieser aber setzte sich wieder auf seinen Sessel und sagte halb im Scherz, halb zur Erklдrung: »Es gehцrt ja alles zum Gericht.« »Das habe ich noch nicht bemerkt«, sagte K. kurz, die allgemeine Bemerkung des Malers nahm dem Hinweis auf die Mдdchen alles Beunruhigende. Trotzdem sah K. ein Weilchen lang zur Tьr hin, hinter der die Mдdchen jetzt still auf den Stufen saЯen. Nur eines hatte einen Strohhalm durch eine Ritze zwischen den Balken gesteckt und fьhrte ihn langsam auf und ab.
»Sie scheinen noch keinen Ьberblick ьber das Gericht zu haben«, sagte der Maler, er hatte die Beine weit auseinandergestreckt und klatschte mit den FuЯspitzen auf den Boden. »Da Sie aber unschuldig sind, werden Sie ihn auch nicht benцtigen. Ich allein hole Sie heraus.« »Wie wollen Sie das tun?« fragte K. »Da Sie doch vor kurzem selbst gesagt haben, daЯ das Gericht fьr Beweisgrьnde vollstдndig unzugдnglich ist.« »Unzugдnglich nur fьr Beweisgrьnde, die man vor dem Gericht vorbringt«, sagte der Maler und hob den Zeigefinger, als habe K. eine feine Unterscheidung nicht bemerkt. »Anders verhдlt es sich aber damit, was man in dieser Hinsicht hinter dem цffentlichen Gericht versucht, also in den Beratungszimmern, in den Korridoren oder zum Beispiel auch hier, im Atelier.« Was der Maler jetzt sagte, schien K. nicht mehr so unglaubwьrdig, es zeigte vielmehr eine groЯe Ьbereinstimmung mit dem, was K. auch von anderen Leuten gehцrt hatte. Ja, es war sogar sehr hoffnungsvoll. Waren die Richter durch persцnliche Beziehungen wirklich so leicht zu lenken, wie es der Advokat dargestellt hatte, dann waren die Beziehungen des Malers zu den eitlen Richtern besonders wichtig und jedenfalls keineswegs zu unterschдtzen. Dann fьgte sich der Maler sehr gut in den Kreis von Helfern, die K. allmдhlich um sich versammelte. Man hatte einmal in der Bank sein Organisationstalent gerьhmt, hier, wo er ganz allein auf sich gestellt war, zeigte sich eine gute Gelegenheit, es auf das ДuЯerste zu erproben. Der Maler beobachtete die Wirkung, die seine Erklдrung auf K. gemacht hatte und sagte dann mit einer gewissen Дngstlichkeit: »Fдllt es Ihnen nicht auf, daЯ ich fast wie ein Jurist spreche? Es ist der ununterbrochene Verkehr mit den Herren vom Gericht, der mich so beeinfluЯt. Ich habe natьrlich viel Gewinn davon, aber der kьnstlerische Schwung geht zum groЯen Teil verloren.« »Wie sind Sie denn zum erstenmal mit den Richtern in Verbindung gekommen?« fragte K., er wollte zuerst das Vertrauen des Malers gewinnen, bevor er ihn geradezu in seine Dienste nahm. »Das war sehr einfach«, sagte der Maler, »ich habe diese Verbindung geerbt. Schon mein Vater war Gerichtsmaler. Es ist das eine Stellung, die sich immer vererbt. Man kann dafьr neue Leute nicht brauchen. Es sind nдmlich fьr das Malen der verschiedenen Beamtengrade so verschiedene, vielfache und vor allem geheime Regeln aufgestellt, daЯ sie ьberhaupt nicht auЯerhalb bestimmter Familien bekannt werden. Dort in der Schublade zum Beispiel habe ich die Aufzeichnungen meines Vaters, die ich niemandem zeige. Aber nur wer sie kennt, ist zum Malen von Richtern befдhigt. Jedoch, selbst wenn ich sie verlцre, blieben mir noch so viele Regeln, die ich allein in meinem Kopfe trage, daЯ mir niemand meine Stellung streitig machen kцnnte. Es will doch jeder Richter so gemalt werden, wie die alten, groЯen Richter gemalt worden sind, und das kann nur ich.« »Das ist beneidenswert«, sagte K., der an seine Stellung in der Bank dachte. »Ihre Stellung ist also unerschьtterlich?« »Ja, unerschьtterlich«, sagte der Maler und hob stolz die Achseln. »Deshalb kann ich es auch wagen, hier und da einem armen Manne, der einen ProzeЯ hat, zu helfen.« »Und wie tun Sie das?« fragte K., als sei es nicht er, den der Maler soeben einen armen Mann genannt hatte. Der Maler aber lieЯ sich nicht ablenken, sondern sagte: »In Ihrem Fall zum Beispiel werde ich, da Sie vollstдndig unschuldig sind, folgendes unternehmen.« Die wiederholte Erwдhnung seiner Unschuld wurde K. schon lдstig. Ihm schien es manchmal, als mache der Maler durch solche Bemerkungen einen gьnstigen Ausgang des Prozesses zur Voraussetzung seiner Hilfe, die dadurch natьrlich in sich selbst zusammenfiel. Trotz diesen Zweifeln bezwang sich aber K. und unterbrach den Maler nicht. Verzichten wollte er auf die Hilfe des Malers nicht, dazu war er entschlossen, auch schien ihm diese Hilfe durchaus nicht fragwьrdiger als die des Advokaten zu sein. K. zog sie jener sogar bei weitem vor, weil sie harmloser und offener dargeboten wurde.
Der Maler hatte seinen Sessel nдher zum Bett gezogen und fuhr mit gedдmpfter Stimme fort: »Ich habe vergessen, Sie zunдchst zu fragen, welche Art der Befreiung Sie wьnschen. Es gibt drei Mцglichkeiten, nдmlich die wirkliche Freisprechung, die scheinbare Freisprechung und die Verschleppung. Die wirkliche Freisprechung ist natьrlich das Beste, nur habe ich nicht den geringsten EinfluЯ auf diese Art der Lцsung. Es gibt meiner Meinung nach ьberhaupt keine einzelne Person, die auf die wirkliche Freisprechung EinfluЯ hдtte. Hier entscheidet wahrscheinlich nur die Unschuld des Angeklagten. Da Sie unschuldig sind, wдre es wirklich mцglich, daЯ Sie sich allein auf Ihre Unschuld verlassen. Dann brauchen Sie aber weder mich noch irgendeine andere Hilfe.« Diese geordnete Darstellung verblьffte K. anfangs, dann aber sagte er ebenso leise wie der Maler: »Ich glaube, Sie widersprechen sich.« »Wie denn?« fragte der Maler geduldig und lehnte sich lдchelnd zurьck. Dieses Lдcheln erweckte in K. das Gefьhl, als ob er jetzt daran gehe, nicht in den Worten des Malers, sondern in dem Gerichtsverfahren selbst Widersprьche zu entdecken. Trotzdem wich er aber nicht zurьck und sagte: »Sie haben frьher die Bemerkung gemacht, daЯ das Gericht fьr Beweisgrьnde unzugдnglich ist, spдter haben Sie dies auf das цffentliche Gericht eingeschrдnkt, und jetzt sagen Sie sogar, daЯ der Unschuldige vor dem Gericht keine Hilfe braucht. Darin liegt schon ein Widerspruch. AuЯerdem aber haben Sie frьher gesagt, daЯ man die Richter persцnlich beeinflussen kann, stellen aber jetzt in Abrede, daЯ die wirkliche Freisprechung, wie Sie sie nennen, jemals durch persцnliche Beeinflussung zu erreichen ist. Darin liegt der zweite Widerspruch.« »Diese Widersprьche sind leicht aufzuklдren«, sagte der Maler. »Es ist hier von zwei verschiedenen Dingen die Rede, von dem, was im Gesetz steht, und von dem, was ich persцnlich erfahren habe, das dьrfen Sie nicht verwechseln. Im Gesetz, ich habe es allerdings nicht gelesen, steht natьrlich einerseits, daЯ der Unschuldige freigesprochen wird, andererseits steht dort aber nicht, daЯ die Richter beeinfluЯt werden kцnnen. Nun habe aber ich gerade das Gegenteil dessen erfahren. Ich weiЯ von keiner wirklichen Freisprechung, wohl aber von vielen Beeinflussungen. Es ist natьrlich mцglich, daЯ in allen mir bekannten Fдllen keine Unschuld vorhanden war. Aber ist das nicht unwahrscheinlich? In so vielen Fдllen keine einzige Unschuld? Schon als Kind hцrte ich dem Vater genau zu, wenn er zu Hause von Prozessen erzдhlte, auch die Richter, die in sein Atelier kamen, erzдhlten vom Gericht, man spricht in unseren Kreisen ьberhaupt von nichts anderem; kaum bekam ich die Mцglichkeit, selbst zu Gerichte zu gehen, nьtzte ich sie immer aus, unzдhlbare Prozesse habe ich in wichtigen Stadien angehцrt und, soweit sie sichtbar sind, verfolgt, und – ich muЯ es zugeben – nicht einen einzigen wirklichen Freispruch erlebt.« »Keinen einzigen Freispruch also«, sagte K., als rede er zu sich selbst und zu seinen Hoffnungen. »Das bestдtigt aber die Meinung, die ich von dem Gericht schon habe. Es ist also auch von dieser Seite zwecklos. Ein einziger Henker kцnnte das ganze Gericht ersetzen.« »Sie dьrfen nicht verallgemeinern«, sagte der Maler unzufrieden, »ich habe ja nur von meinen Erfahrungen gesprochen.« »Das genьgt doch«, sagte K., »oder haben Sie von Freisprьchen aus frьherer Zeit gehцrt?« »Solche Freisprьche«, antwortete der Maler, »soll es allerdings gegeben haben. Nur ist es sehr schwer, das festzustellen. Die abschlieЯenden Entscheidungen des Gerichts werden nicht verцffentlicht, sie sind nicht einmal den Richtern zugдnglich, infolgedessen haben sich ьber alte Gerichtsfдlle nur Legenden erhalten. Diese enthalten allerdings sogar in der Mehrzahl wirkliche Freisprechungen, man kann sie glauben, nachweisbar sind sie aber nicht. Trotzdem muЯ man sie nicht ganz vernachlдssigen, eine gewisse Wahrheit enthalten sie wohl gewiЯ, auch sind sie sehr schцn, ich selbst habe einige Bilder gemalt, die solche Legenden zum Inhalt haben.« »BloЯe Legenden дndern meine Meinung nicht«, sagte K., »man kann sich wohl auch vor Gericht auf diese Legenden nicht berufen?« Der Maler lachte. »Nein, das kann man nicht«, sagte er. »Dann ist es nutzlos, darьber zu reden«, sagte K., er wollte vorlдufig alle Meinungen des Malers hinnehmen, selbst wenn er sie fьr unwahrscheinlich hielt und sie anderen Berichten widersprachen. Er hatte jetzt nicht die Zeit, alles, was der Maler sagte, auf die Wahrheit hin zu ьberprьfen oder gar zu widerlegen, es war schon das ДuЯerste erreicht, wenn er den Maler dazu bewog, ihm in irgendeiner, sei es auch in einer nicht entscheidenden Weise zu helfen. Darum sagte er: »Sehen wir also von der wirklichen Freisprechung ab, Sie erwдhnten aber noch zwei andere Mцglichkeiten.« »Die scheinbare Freisprechung und die Verschleppung. Um die allein kann es sich handeln«, sagte der Maler. »Wollen Sie aber nicht, ehe wir davon reden, den Rock ausziehen? Es ist Ihnen wohl heiЯ.« »Ja«, sagte K., der bisher auf nichts als auf die Erklдrungen des Malers geachtet hatte, dem aber jetzt, da er an die Hitze erinnert worden war, starker SchweiЯ auf der Stirn ausbrach. »Es ist fast unertrдglich.« Der Maler nickte, als verstehe er K.s Unbehagen sehr gut. »Kцnnte man nicht das Fenster цffnen?« fragte K. »Nein«, sagte der Maler. »Es ist bloЯ eine feste eingesetzte Glasscheibe, man kann es nicht цffnen.« Jetzt erkannte K., daЯ er die ganze Zeit ьber darauf gehofft hatte, plцtzlich werde der Maler oder er zum Fenster gehen und es aufreiЯen. Er war darauf vorbereitet, selbst den Nebel mit offenem Mund einzuatmen. Das Gefьhl, hier von der Luft vollstдndig abgesperrt zu sein, verursachte ihm Schwindel. Er schlug leicht mit der Hand auf das Federbett neben sich und sagte mit schwacher Stimme: »Das ist ja unbequem und ungesund.« »O nein«, sagte der Maler zur Verteidigung seines Fensters, »dadurch, daЯ es nicht aufgemacht werden kann, wird, obwohl es nur eine einfache Scheibe ist, die Wдrme hier besser festgehalten als durch ein Doppelfenster. Will ich aber lьften, was nicht sehr notwendig ist, da durch die Balkenritzen ьberall Luft eindringt, kann ich eine meiner Tьren oder sogar beide цffnen.« K., durch diese Erklдrung ein wenig getrцstet, blickte herum, um die zweite Tьr zu finden. Der Maler bemerkte das und sagte: »Sie ist hinter Ihnen, ich muЯte sie durch das Bett verstellen.« Jetzt erst sah K. die kleine Tьr in der Wand. »Es ist eben hier alles viel zu klein fьr ein Atelier«, sagte der Maler, als wolle er einem Tadel K.s zuvorkommen. »Ich muЯte mich einrichten, so gut es ging. Das Bett vor der Tьr steht natьrlich an einem sehr schlechten Platz. Der Richter zum Beispiel, den ich jetzt male, kommt immer durch die Tьr beim Bett, und ich habe ihm auch einen Schlьssel von dieser Tьr gegeben, damit er, auch wenn ich nicht zu Hause bin, hier im Atelier auf mich warten kann. Nun kommt er aber gewцhnlich frьh am Morgen, wдhrend ich noch schlafe. Es reiЯt mich natьrlich immer aus dem tiefsten Schlaf, wenn sich neben dem Bett die Tьr цffnet. Sie wьrden jede Ehrfurcht vor den Richtern verlieren, wenn Sie die Flьche hцrten, mit denen ich ihn empfange, wenn er frьh ьber mein Bett steigt. Ich kцnnte ihm allerdings den Schlьssel wegnehmen, aber es wьrde dadurch nur дrger werden. Man kann hier alle Tьren mit der geringsten Anstrengung aus den Angeln brechen.« Wдhrend dieser ganzen Rede ьberlegte K., ob er den Rock ausziehen sollte, er sah aber schlieЯlich ein, daЯ er, wenn er es nicht tat, unfдhig war, hier noch lдnger zu bleiben, er zog daher den Rock aus, legte ihn aber ьber die Knie, um ihn, falls die Besprechung zu Ende wдre, wieder anziehen zu kцnnen. Kaum hatte er den Rock ausgezogen, rief eines der Mдdchen: »Er hat schon den Rock ausgezogen!« und man hцrte, wie sich alle zu den Ritzen drдngten, um das Schauspiel selbst zu sehen. »Die Mдdchen glauben nдmlich«, sagte der Maler, »daЯ ich Sie malen werde und daЯ Sie sich deshalb ausziehen.« »So«, sagte K., nur wenig belustigt, denn er fьhlte sich nicht viel besser als frьher, obwohl er jetzt in Hemdдrmeln dasaЯ. Fast mьrrisch fragte er: »Wie nannten Sie die zwei anderen Mцglichkeiten?« Er hatte die Ausdrьcke schon wieder vergessen. »Die scheinbare Freisprechung und die Verschleppung«, sagte der Maler. »Es liegt an Ihnen, was Sie davon wдhlen. Beides ist durch meine Hilfe erreichbar, natьrlich nicht ohne Mьhe, der Unterschied in dieser Hinsicht ist der, daЯ die scheinbare Freisprechung eine gesammelte zeitweilige, die Verschleppung eine viel geringere, aber dauernde Anstrengung verlangt. Zunдchst also die scheinbare Freisprechung. Wenn Sie diese wьnschen sollten, schreibe ich auf einem Bogen Papier eine Bestдtigung Ihrer Unschuld auf. Der Text fьr eine solche Bestдtigung ist mir von meinem Vater ьberliefert und ganz unangreifbar. Mit dieser Bestдtigung mache ich nun einen Rundgang bei den mir bekannten Richtern. Ich fange also etwa damit an, daЯ ich dem Richter, den ich jetzt male, heute abend, wenn er zur Sitzung kommt, die Bestдtigung vorlege. Ich lege ihm die Bestдtigung vor, erklдre ihm, daЯ Sie unschuldig sind, und verbьrge mich fьr Ihre Unschuld. Das ist aber keine bloЯ дuЯerliche, sondern eine wirkliche, bindende Bьrgschaft.« In den Blicken des Malers lag es wie ein Vorwurf, daЯ K. ihm die Last einer solchen Bьrgschaft auferlegen wolle. »Das wдre ja sehr freundlich«, sagte K. »Und der Richter wьrde Ihnen glauben und mich trotzdem nicht wirklich freisprechen?« »Wie ich schon sagte«, antwortete der Maler. »Ьbrigens ist es durchaus nicht sicher, daЯ jeder mir glauben wьrde, mancher Richter wird zum Beispiel verlangen, daЯ ich Sie selbst zu ihm hinfьhre. Dann mьЯten Sie also einmal mitkommen. Allerdings ist in einem solchen Falle die Sache schon halb gewonnen, besonders da ich Sie natьrlich vorher genau darьber unterrichten wьrde, wie Sie sich bei dem betreffenden Richter zu verhalten haben. Schlimmer ist es bei den Richtern, die mich – auch das wird vorkommen – von vornherein abweisen. Auf diese mьssen wir, wenn ich es auch an mehrfachen Versuchen gewiЯ nicht fehlen lassen werde, verzichten, wir dьrfen das aber auch, denn einzelne Richter kцnnen hier nicht den Ausschlag geben. Wenn ich nun auf dieser Bestдtigung eine genьgende Anzahl von Unterschriften der Richter habe, gehe ich mit dieser Bestдtigung zu dem Richter, der Ihren ProzeЯ gerade fьhrt. Mцglicherweise habe ich auch seine Unterschrift, dann entwickelt sich alles noch ein wenig rascher als sonst. Im allgemeinen gibt es aber dann ьberhaupt nicht mehr viel Hindernisse, es ist dann fьr den Angeklagten die Zeit der hцchsten Zuversicht. Es ist merkwьrdig, aber wahr, die Leute sind in dieser Zeit zuversichtlicher als nach dem Freispruch. Es bedarf jetzt keiner besonderen Mьhe mehr. Der Richter besitzt in der Bestдtigung die Bьrgschaft einer Anzahl von Richtern, kann Sie unbesorgt freisprechen und wird es, allerdings nach Durchfьhrung verschiedener Formalitдten, mir und anderen Bekannten zu Gefallen zweifellos tun. Sie aber treten aus dem Gericht und sind frei.« »Dann bin ich also frei«, sagte K. zцgernd. »Ja«, sagte der Maler, »aber nur scheinbar frei oder, besser ausgedrьckt, zeitweilig frei. Die untersten Richter nдmlich, zu denen meine Bekannten gehцren, haben nicht das Recht, endgьltig freizusprechen, dieses Recht hat nur das oberste, fьr Sie, fьr mich und fьr uns alle ganz unerreichbare Gericht. Wie es dort aussieht, wissen wir nicht und wollen wir nebenbei gesagt, auch nicht wissen. Das groЯe Recht, von der Anklage zu befreien, haben also unsere Richter nicht, wohl aber haben sie das Recht, von der Anklage loszulцsen. Das heiЯt, wenn Sie auf diese Weise freigesprochen werden, sind Sie fьr den Augenblick der Anklage entzogen, aber sie schwebt auch weiterhin ьber Ihnen und kann, sobald nur der hцhere Befehl kommt, sofort in Wirkung treten. Da ich mit dem Gericht in so guter Verbindung stehe, kann ich Ihnen auch sagen, wie sich in den Vorschriften fьr die Gerichtskanzleien der Unterschied zwischen der wirklichen und der scheinbaren Freisprechung rein дuЯerlich zeigt. Bei einer wirklichen Freisprechung sollen die ProzeЯakten vollstдndig abgelegt werden, sie verschwinden gдnzlich aus dem Verfahren, nicht nur die Anklage, auch der ProzeЯ und sogar der Freispruch sind vernichtet, alles ist vernichtet. Anders beim scheinbaren Freispruch. Mit dem Akt ist keine weitere Verдnderung vor sich gegangen, als daЯ er um die Bestдtigung der Unschuld, um den Freispruch und um die Begrьndung des Freispruchs bereichert worden ist. Im ьbrigen aber bleibt er im Verfahren, er wird, wie es der ununterbrochene Verkehr der Gerichtskanzleien erfordert, zu den hцheren Gerichten weitergeleitet, kommt zu den niedrigeren zurьck und pendelt so mit grцЯeren und kleineren Schwingungen, mit grцЯeren und kleineren Stockungen auf und ab. Diese Wege sind unberechenbar. Von auЯen gesehen, kann es manchmal den Anschein bekommen, daЯ alles lдngst vergessen, der Akt verloren und der Freispruch ein vollkommener ist. Ein Eingeweihter wird das nicht glauben. Es geht kein Akt verloren, es gibt bei Gericht kein Vergessen. Eines Tages – niemand erwartet es – nimmt irgendein Richter den Akt aufmerksamer in die Hand, erkennt, daЯ in diesem Fall die Anklage noch lebendig ist, und ordnet die sofortige Verhaftung an. Ich habe hier angenommen, daЯ zwischen dem scheinbaren Freispruch und der neuen Verhaftung eine lange Zeit vergeht, das ist mцglich, und ich weiЯ von solchen Fдllen, es ist aber ebensogut mцglich, daЯ der Freigesprochene vom Gericht nach Hause kommt und dort schon Beauftragte warten, um ihn wieder zu verhaften. Dann ist natьrlich das freie Leben zu Ende.« »Und der ProzeЯ beginnt von neuem?« fragte K. fast unglдubig. »Allerdings«, sagte der Maler, »der ProzeЯ beginnt von neuem, es besteht aber wieder die Mцglichkeit, ebenso wie frьher, einen scheinbaren Freispruch zu erwirken. Man muЯ wieder alle Krдfte zusammennehmen und darf sich nicht ergeben.« Das letztere sagte der Maler vielleicht unter dem Eindruck, den K., der ein wenig zusammengesunken war, auf ihn machte. »Ist aber«, fragte K., als wolle er jetzt irgendwelchen Enthьllungen des Malers zuvorkommen, »die Erwirkung eines zweiten Freispruchs nicht schwieriger als die des ersten?« »Man kann«, antwortete der Maler, »in dieser Hinsicht nichts Bestimmtes sagen. Sie meinen wohl, daЯ die Richter durch die zweite Verhaftung in ihrem Urteil zuungunsten des Angeklagten beeinfluЯt werden? Das ist nicht der Fall. Die Richter haben ja schon beim Freispruch diese Verhaftung vorgesehen. Dieser Umstand wirkt also kaum ein. Wohl aber kann aus zahllosen sonstigen Grьnden die Stimmung der Richter sowie ihre rechtliche Beurteilung des Falles eine andere geworden sein, und die Bemьhungen um den zweiten Freispruch mьssen daher den verдnderten Umstдnden angepaЯt werden und im allgemeinen ebenso krдftig sein wie die vor dem ersten Freispruch.« »Aber dieser zweite Freispruch ist doch wieder nicht endgьltig«, sagte K. und drehte abweisend den Kopf. »Natьrlich nicht«, sagte der Maler, »dem zweiten Freispruch folgt die dritte Verhaftung, dem dritten Freispruch die vierte Verhaftung, und so fort. Das liegt schon im Begriff des scheinbaren Freispruchs.« K. schwieg. »Der scheinbare Freispruch scheint Ihnen offenbar nicht vorteilhaft zu sein«, sagte der Maler, »vielleicht entspricht Ihnen die Verschleppung besser. Soll ich Ihnen das Wesen der Verschleppung erklдren?« K. nickte. Der Maler hatte sich breit in seinen Sessel zurьckgelehnt, das Nachthemd war weit offen, er hatte eine Hand daruntergeschoben, mit der er ьber die Brust und die Seiten strich. »Die Verschleppung«, sagte der Maler und sah einen Augenblick vor sich hin, als suche er eine vollstдndig zutreffende Erklдrung, »die Verschleppung besteht darin, daЯ der ProzeЯ dauernd im niedrigsten ProzeЯstadium erhalten wird. Um dies zu erreichen, ist es nцtig, daЯ der Angeklagte und der Helfer, insbesondere aber der Helfer in ununterbrochener persцnlicher Fьhlung mit dem Gericht bleibt. Ich wiederhole, es ist hierfьr kein solcher Kraftaufwand nцtig wie bei der Erreichung eines scheinbaren Freispruchs, wohl aber ist eine viel grцЯere Aufmerksamkeit nцtig. Man darf den ProzeЯ nicht aus den Augen verlieren, man muЯ zu dem betreffenden Richter in regelmдЯigen Zwischenrдumen und auЯerdem bei besonderen Gelegenheiten gehen und ihn auf jede Weise sich freundlich zu erhalten suchen; ist man mit dem Richter nicht persцnlich bekannt, so muЯ man durch bekannte Richter ihn beeinflussen lassen, ohne daЯ man etwa deshalb die unmittelbaren Besprechungen aufgeben dьrfte. Versдumt man in dieser Hinsicht nichts, so kann man mit genьgender Bestimmtheit annehmen, daЯ der ProzeЯ ьber sein erstes Stadium nicht hinauskommt. Der ProzeЯ hцrt zwar nicht auf, aber der Angeklagte ist vor einer Verurteilung fast ebenso gesichert, wie wenn er frei wдre. Gegenьber dem scheinbaren Freispruch hat die Verschleppung den Vorteil, daЯ die Zukunft des Angeklagten weniger unbestimmt ist, er bleibt vor dem Schrecken der plцtzlichen Verhaftungen bewahrt und muЯ nicht fьrchten, etwa gerade zu Zeiten, wo seine sonstigen Umstдnde dafьr am wenigsten gьnstig sind, die Anstrengungen und Aufregungen auf sich nehmen zu mьssen, welche mit der Erreichung des scheinbaren Freispruchs verbunden sind. Allerdings hat auch die Verschleppung fьr den Angeklagten gewisse Nachteile, die man nicht unterschдtzen darf. Ich denke hierbei nicht daran, daЯ hier der Angeklagte niemals frei ist, das ist er ja auch bei der scheinbaren Freisprechung im eigentlichen Sinne nicht. Es ist ein anderer Nachteil. Der ProzeЯ kann nicht stillstehen, ohne daЯ wenigstens scheinbare Grьnde dafьr vorliegen. Es muЯ deshalb im ProzeЯ nach auЯen hin etwas geschehen. Es mьssen also von Zeit zu Zeit verschiedene Anordnungen getroffen werden, der Angeklagte muЯ verhцrt werden, Untersuchungen mьssen stattfinden und so weiter. Der ProzeЯ muЯ eben immerfort in dem kleinen Kreis, auf den er kьnstlich eingeschrдnkt worden ist, gedreht werden. Das bringt natьrlich gewisse Unannehmlichkeiten fьr den Angeklagten mit sich, die Sie sich aber wiederum nicht zu schlimm vorstellen dьrfen. Es ist ja alles nur дuЯerlich, die Verhцre beispielsweise sind also nur ganz kurz, wenn man einmal keine Zeit oder keine Lust hat, hinzugehen, darf man sich entschuldigen, man kann sogar bei gewissen Richtern die Anordnungen fьr eine lange Zeit im voraus gemeinsam festsetzen, es handelt sich im Wesen nur darum, daЯ man, da man Angeklagter ist, von Zeit zu Zeit bei seinem Richter sich meldet.« Schon wдhrend der letzten Worte hatte K. den Rock ьber den Arm gelegt und war aufgestanden. »Er steht schon auf!« rief es sofort drauЯen vor der Tьr. »Sie wollen schon fortgehen?« fragte der Maler, der auch aufgestanden war. »Es ist gewiЯ die Luft, die Sie von hier vertreibt. Es ist mir sehr peinlich. Ich hдtte Ihnen auch noch manches zu sagen. Ich muЯte mich ganz kurz fassen. Ich hoffe aber, verstдndlich gewesen zu sein.« »O ja«, sagte K., dem von der Anstrengung, mit der er sich zum Zuhцren gezwungen hatte, der Kopf schmerzte. Trotz dieser Bestдtigung sagte der Maler, alles noch einmal zusammenfassend, als wolle er K. auf den Heimweg einen Trost mitgeben: »Beide Methoden haben das Gemeinsame, daЯ sie eine Verurteilung des Angeklagten verhindern.« »Sie verhindern aber auch die wirkliche Freisprechung«, sagte K. leise, als schдme er sich, das erkannt zu haben. »Sie haben den Kern der Sache erfaЯt«, sagte der Maler schnell. K. legte die Hand auf seinen Winterrock, konnte sich aber nicht einmal entschlieЯen, den Rock anzuziehen. Am liebsten hдtte er alles zusammengepackt und wдre damit an die frische Luft gelaufen. Auch die Mдdchen konnten ihn nicht dazu bewegen, sich anzuziehen, obwohl sie, verfrьht, einander schon zuriefen, daЯ er sich anziehe. Dem Maler lag daran, K.s Stimmung irgendwie zu deuten, er sagte deshalb: »Sie haben sich wohl hinsichtlich meiner Vorschlдge noch nicht entschieden. Ich billige das. Ich hдtte Ihnen sogar davon abgeraten, sich sofort zu entscheiden. Die Vorteile und Nachteile sind haarfein. Man muЯ alles genau abschдtzen. Allerdings darf man auch nicht zuviel Zeit verlieren.« »Ich werde bald wiederkommen«, sagte K., der in einem plцtzlichen EntschluЯ den Rock anzog, den Mantel ьber die Schulter warf und zur Tьr eilte, hinter der jetzt die Mдdchen zu schreien anfingen. K. glaubte, die schreienden Mдdchen durch die Tьr zu sehen. »Sie mьssen aber Wort halten«, sagte der Maler, der ihm nicht gefolgt war, »sonst komme ich in die Bank, um selbst nachzufragen.« »Sperren Sie doch die Tьr auf«, sagte K. und riЯ an der Klinke, die die Mдdchen, wie er an dem Gegendruck merkte, drauЯen festhielten. »Wollen Sie von den Mдdchen belдstigt werden?« fragte der Maler. »Benьtzen Sie doch lieber diesen Ausgang«, und er zeigte auf die Tьr hinter dem Bett. K. war damit einverstanden und sprang zum Bett zurьck. Aber statt die Tьr dort zu цffnen, kroch der Maler unter das Bett und fragte von unten: »Nur noch einen Augenblick; wollen Sie nicht noch ein Bild sehen, das ich Ihnen verkaufen kцnnte?« K. wollte nicht unhцflich sein, der Maler hatte sich wirklich seiner angenommen und versprochen, ihm weiterhin zu helfen, auch war infolge der VergeЯlichkeit K.s ьber die Entlohnung fьr die Hilfe noch gar nicht gesprochen worden, deshalb konnte ihn K. jetzt nicht abweisen und lieЯ sich das Bild zeigen, wenn er auch vor Ungeduld zitterte, aus dem Atelier wegzukommen. Der Maler zog unter dem Bett einen Haufen ungerahmter Bilder hervor, die so mit Staub bedeckt waren, daЯ dieser, als ihn der Maler vom obersten Bild wegzublasen suchte, lдngere Zeit atemraubend K. vor den Augen wirbelte. »Eine Heidelandschaft«, sagte der Maler und reichte K. das Bild. Es stellte zwei schwache Bдume dar, die weit voneinander entfernt im dunklen Gras standen. Im Hintergrund war ein vielfarbiger Sonnenuntergang. »Schцn«, sagte K., »ich kaufe es.« K. hatte unbedacht sich so kurz geдuЯert, er war daher froh, als der Maler, statt dies ьbelzunehmen, ein zweites Bild vom Boden aufhob. »Hier ist ein Gegenstьck zu diesem Bild«, sagte der Maler. Es mochte als Gegenstьck beabsichtigt sein, es war aber nicht der geringste Unterschied gegenьber dem ersten Bild zu merken, hier waren die Bдume, hier das Gras und dort der Sonnenuntergang. Aber K. lag wenig daran. »Es sind schцne Landschaften«, sagte er, »ich kaufe beide und werde sie in meinem Bьro aufhдngen.« »Das Motiv scheint Ihnen zu gefallen«, sagte der Maler und holte ein drittes Bild herauf, »es trifft sich gut, daЯ ich noch ein дhnliches Bild hier habe.« Es war aber nicht дhnlich, es war vielmehr die vцllig gleiche Heidelandschaft. Der Maler nьtzte diese Gelegenheit, alte Bilder zu verkaufen, gut aus. »Ich nehme auch dieses noch«, sagte K. »Wieviel kosten die drei Bilder?« »Darьber werden wir nдchstens sprechen«, sagte der Maler. »Sie haben jetzt Eile, und wir bleiben doch in Verbindung. Im ьbrigen freut es mich, daЯ Ihnen die Bilder gefallen, ich werde Ihnen alle Bilder mitgeben, die ich hier unten habe. Es sind lauter Heidelandschaften, ich habe schon viele Heidelandschaften gemalt. Manche Leute weisen solche Bilder ab, weil sie zu dьster sind, andere aber, und Sie gehцren zu ihnen, lieben gerade das Dьstere.« Aber K. hatte jetzt keinen Sinn fьr die beruflichen Erfahrungen des Bettelmalers. »Packen Sie alle Bilder ein!« rief er, dem Maler in die Rede fallend, »morgen kommt mein Diener und wird sie holen.« »Es ist nicht nцtig«, sagte der Maler. »Ich hoffe, ich werden Ihnen einen Trдger verschaffen kцnnen, der gleich mit Ihnen gehen wird.« Und er beugte sich endlich ьber das Bett und sperrte die Tьr auf. »Steigen Sie ohne Scheu auf das Bett«, sagte der Maler, »das tut jeder, der hier hereinkommt.« K. hдtte auch ohne diese Aufforderung keine Rьcksicht genommen, er hatte sogar schon einen FuЯ mitten auf das Federbett gesetzt, da sah er durch die offene Tьr hinaus und zog den FuЯ wieder zurьck.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16