А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

»Du schaust aus dem Fenster!« rief der Onkel mit erhobenen Armen, »um Himmels willen, Josef, antworte mir doch! Ist es wahr, kann es denn wahr sein?« »Lieber Onkel«, sagte K. und riЯ sich von seiner Zerstreutheit los, »ich weiЯ ja gar nicht, was du von mir willst.« »Josef«, sagte der Onkel warnend, »die Wahrheit hast du immer gesagt, soviel ich weiЯ. Soll ich deine letzten Worte als schlimmes Zeichen auffassen?« »Ich ahne ja, was du willst«, sagte K. folgsam, »du hast wahrscheinlich von meinem ProzeЯ gehцrt.« »So ist es«. antwortete der Onkel, langsam nickend, »ich habe von deinem ProzeЯ gehцrt.« »Von wem denn?« fragte K. »Erna hat es mir geschrieben«, sagte der Onkel, »sie hat ja keinen Verkehr mit dir, du kьmmerst dich leider nicht viel um sie, trotzdem hat sie es erfahren. Heute habe ich den Brief bekommen und bin natьrlich sofort hergefahren. Aus keinem anderen Grund, aber es scheint ein genьgender Grund zu sein. Ich kann dir die Briefstelle, die dich betrifft, vorlesen.« Er zog den Brief aus der Brieftasche. »Hier ist es. Sie schreibt: ›Josef habe ich schon lange nicht gesehen, vorige Woche war ich einmal in der Bank, aber Josef war so beschдftigt, daЯ ich nicht vorgelassen wurde; ich habe fast eine Stunde gewartet, muЯte dann aber nach Hause, weil ich Klavierstunde hatte. Ich hдtte gern mit ihm gesprochen, vielleicht wird sich nдchstens eine Gelegenheit finden. Zu meinem Namenstag hat er mir eine groЯe Schachtel Schokolade geschickt, es war sehr lieb und aufmerksam. Ich hatte vergessen, es Euch damals zu schreiben, erst jetzt, da Ihr mich fragt, erinnere ich mich daran. Schokolade, mьЯt Ihr wissen, verschwindet nдmlich in der Pension sofort, kaum ist man zum BewuЯtsein dessen gekommen, daЯ man mit Schokolade beschenkt worden ist, ist sie auch schon weg. Aber was Josef betrifft, wollte ich Euch noch etwas sagen. Wie erwдhnt, wurde ich in der Bank nicht zu ihm vorgelassen, weil er gerade mit einem Herrn verhandelte. Nachdem ich eine Zeitlang ruhig gewartet hatte, fragte ich einen Diener, ob die Verhandlung noch lange dauern werde. Er sagte, das dьrfte wohl sein, denn es handle sich wahrscheinlich um den ProzeЯ, der gegen den Herrn Prokuristen gefьhrt werde. Ich fragte, was denn das fьr ein ProzeЯ sei, ob er sich nicht irre, er aber sagte, er irre sich nicht, es sei ein ProzeЯ, und zwar ein schwerer ProzeЯ, mehr aber wisse er nicht. Er selbst mцchte dem Herrn Prokuristen gerne helfen, denn dieser sei ein guter und gerechter Herr, aber er wisse nicht, wie er es anfangen sollte, und er mцchte nur wьnschen, daЯ sich einfluЯreiche Herren seiner annehmen wьrden. Dies werde auch sicher geschehen, und es werde schlieЯlich ein gutes Ende nehmen, vorlдufig aber stehe es, wie er aus der Laune des Herrn Prokuristen entnehmen kцnne, gar nicht gut. Ich legte diesen Reden natьrlich nicht viel Bedeutung bei, suchte auch den einfдltigen Diener zu beruhigen, verbot ihm, anderen gegenьber davon zu sprechen, und halte das Ganze fьr ein Geschwдtz. Trotzdem wдre es vielleicht gut, wenn Du, liebster Vater, bei Deinem nдchsten Besuch der Sache nachgehen wolltest, es wird Dir leicht sein, Genaueres zu erfahren und, wenn es wirklich nцtig sein sollte, durch Deine groЯen, einfluЯreichen Bekanntschaften einzugreifen. Sollte es aber nicht nцtig sein, was ja das wahrscheinlichste ist, so wird es wenigstens Deiner Tochter bald Gelegenheit geben, Dich zu umarmen, was sie freuen wьrde.‹ – Ein gutes Kind«, sagte der Onkel, als er die Vorlesung beendet hatte, und wischte einige Trдnen aus den Augen fort. K. nickte, er hatte infolge der verschiedenen Stцrungen der letzten Zeit vollstдndig Erna vergessen, sogar ihren Geburtstag hatte er vergessen, und die Geschichte von der Schokolade war offenbar nur zu dem Zweck erfunden, um ihn vor Onkel und Tante in Schutz zu nehmen. Es war sehr rьhrend, und mit den Theaterkarten, die er ihr von jetzt ab regelmдЯig schicken wollte, gewiЯ nicht genьgend belohnt, aber zu Besuchen in der Pension und zu Unterhaltungen mit einer kleinen achtzehnjдhrigen Gymnasiastin fьhlte er sich jetzt nicht geeignet. »Und was sagst du jetzt?« fragte der Onkel, der durch den Brief alle Eile und Aufregung vergessen hatte und ihn noch einmal zu lesen schien. »Ja, Onkel«, sagte K., »es ist wahr.« »Wahr?« rief der Onkel. »Was ist wahr? Wie kann es denn wahr sein? Was fьr ein ProzeЯ? Doch nicht ein StrafprozeЯ?« »Ein StrafprozeЯ«, antwortete K. »Und du sitzt ruhig hier und hast einen StrafprozeЯ auf dem Halse?« rief der Onkel, der immer lauter wurde. »Je ruhiger ich bin, desto besser ist es fьr den Ausgang«, sagte K. mьde, »fьrchte nichts.« »Das kann mich nicht beruhigen!« rief der Onkel, »Josef, lieber Josef, denke an dich, an deine Verwandten, an unsern guten Namen! Du warst bisher unsere Ehre, du darfst nicht unsere Schande werden. Deine Haltung«, er sah K. mit schief geneigtem Kopfe an, »gefallt mir nicht, so verhдlt sich kein unschuldig Angeklagter, der noch bei Krдften ist. Sag mir nur schnell, worum es sich handelt, damit ich dir helfen kann. Es handelt sich natьrlich um die Bank?« »Nein«, sagte K. und stand auf, »du sprichst aber zu laut, lieber Onkel, der Diener steht wahrscheinlich an der Tьr und horcht. Das ist mir unangenehm. Wir wollen lieber weggehen. Ich werde dir dann alle Fragen, so gut es geht, beantworten. Ich weiЯ sehr gut, daЯ ich der Familie Rechenschaft schuldig bin.« »Richtig!« schrie der Onkel, »sehr richtig, beeile dich nur, Josef, beeile dich!« »Ich muЯ nur noch einige Auftrдge geben«, sagte K. und berief telephonisch seinen Vertreter zu sich, der in wenigen Augenblicken eintrat. Der Onkel, in seiner Aufregung, zeigte ihm mit der Hand, daЯ K. ihn habe rufen lassen, woran auch sonst kein Zweifel gewesen wдre. K., der vor dem Schreibtisch stand, erklдrte dem jungen Mann, der kьhl, aber aufmerksam zuhцrte, mit leiser Stimme unter Zuhilfenahme verschiedener Schriftstьcke, was in seiner Abwesenheit heute noch erledigt werden mьsse. Der Onkel stцrte, indem er zuerst mit groЯen Augen und nervцsem LippenbeiЯen dabeistand, ohne allerdings zuzuhцren, aber der Anschein dessen war schon stцrend genug. Dann aber ging er im Zimmer auf und ab und blieb hie und da vor dem Fenster oder vor einem Bild stehen, wobei er immer in verschiedene Ausrufe ausbrach, wie: »Mir ist es vollstдndig unbegreiflich!« oder »Jetzt sagt mir nur, was soll denn daraus werden!« Der junge Mann tat, als bemerke er nichts davon, hцrte ruhig K.s Auftrдge bis zu Ende an, notierte sich auch einiges und ging, nachdem er sich vor K. wie auch vor dem Onkel verneigt hatte, der ihm aber gerade den Rьcken zukehrte, aus dem Fenster sah und mit ausgestreckten Hдnden die Vorhдnge zusammenknьllte. Die Tьr hatte sich noch kaum geschlossen, als der Onkel ausrief: »Endlich ist der Hampelmann weggegangen, jetzt kцnnen doch auch wir gehen. Endlich!« Es gab leider kein Mittel, den Onkel zu bewegen, in der Vorhalle, wo einige Beamte und Diener herumstanden und die gerade auch der Direktor-Stellvertreter kreuzte, die Fragen wegen des Prozesses zu unterlassen. »Also, Josef«, begann der Onkel, wдhrend er die Verbeugungen der Umstehenden durch leichtes Salutieren beantwortete, »jetzt sag mir offen, was es fьr ein ProzeЯ ist.« K. machte einige nichtssagende Bemerkungen, lachte auch ein wenig, und erst auf der Treppe erklдrte er dem Onkel, daЯ er vor den Leuten nicht habe offen reden wollen. »Richtig«, sagte der Onkel, »aber jetzt rede.« Mit geneigtem Kopf, eine Zigarre in kurzen, eiligen Zьgen rauchend, hцrte er zu. »Vor allem, Onkel«, sagte K., »handelt es sich gar nicht um einen ProzeЯ vor dem gewцhnlichen Gericht.« »Das ist schlimm«, sagte der Onkel. »Wie?« sagte K. und sah den Onkel an. »DaЯ das schlimm ist, meine ich«, wiederholte der Onkel. Sie standen auf der Freitreppe, die zur StraЯe fьhrte; da der Portier zu horchen schien, zog K. den Onkel hinunter; der lebhafte StraЯenverkehr nahm sie auf. Der Onkel, der sich in K. eingehдngt hatte, fragte nicht mehr so dringend nach dem ProzeЯ, sie gingen sogar eine Zeitlang schweigend weiter. »Wie ist es aber geschehen?« fragte endlich der Onkel, so plцtzlich stehenbleibend, daЯ die hinter ihm gehenden Leute erschreckt auswichen. »Solche Dinge kommen doch nicht plцtzlich, sie bereiten sich seit langem vor, es mьssen Anzeichen dessen gewesen sein, warum hast du mir nicht geschrieben? Du weiЯt, daЯ ich fьr dich alles tue, ich bin ja gewissermaЯen noch dein Vormund und war bis heute stolz darauf. Ich werde dir natьrlich auch jetzt noch helfen, nur ist es jetzt, wenn der ProzeЯ schon im Gange ist, sehr schwer. Am besten wдre es jedenfalls, wenn du dir jetzt einen kleinen Urlaub nimmst und zu uns aufs Land kommst. Du bist auch ein wenig abgemagert, jetzt merke ich es. Auf dem Land wirst du dich krдftigen, das wird gut sein, es stehen dir ja gewiЯ Anstrengungen bevor. AuЯerdem aber wirst du dadurch dem Gericht gewissermaЯen entzogen sein. Hier haben sie alle mцglichen Machtmittel, die sie notwendigerweise automatisch auch dir gegenьber anwenden; auf das Land mьЯten sie aber erst Organe delegieren oder nur brieflich, telegraphisch, telephonisch auf dich einzuwirken suchen. Das schwдcht natьrlich die Wirkung ab, befreit dich zwar nicht, aber lдЯt dich aufatmen.« »Sie kцnnten mir ja verbieten, wegzufahren«, sagte K., den die Rede des Onkels ein wenig in ihren Gedankengang gezogen hatte. »Ich glaube nicht, daЯ sie das tun werden«, sagte der Onkel nachdenklich, »so groЯ ist der Verlust an Macht nicht, den sie durch deine Abreise erleiden.« »Ich dachte«, sagte K. und faЯte den Onkel unterm Arm, um ihn am Stehenbleiben hindern zu kцnnen, »daЯ du dem Ganzen noch weniger Bedeutung beimessen wьrdest als ich, und jetzt nimmst du es selbst so schwer.« »Josef«, rief der Onkel und wollte sich ihm entwinden, um stehenbleiben zu kцnnen, aber K. lieЯ ihn nicht, »du bist verwandelt, du hattest doch immer ein so richtiges Auffassungsvermцgen, und gerade jetzt verlдЯt es dich? Willst du denn den ProzeЯ verlieren? WeiЯt du, was das bedeutet? Das bedeutet, daЯ du einfach gestrichen wirst. Und daЯ die ganze Verwandtschaft mitgerissen oder wenigstens bis auf den Boden gedemьtigt wird. Josef, nimm dich doch zusammen. Deine Gleichgьltigkeit bringt mich um den Verstand. Wenn man dich ansieht, mцchte man fast dem Sprichwort glauben: ›Einen solchen ProzeЯ haben, heiЯt ihn schon verloren haben‹.«
»Lieber Onkel«, sagte K., »die Aufregung ist so unnьtz, sie ist es auf deiner Seite und wдre es auch auf meiner. Mit Aufregung gewinnt man die Prozesse nicht, laЯ auch meine praktischen Erfahrungen ein wenig gelten, so wie ich deine, selbst wenn sie mich ьberraschen, immer und auch jetzt sehr achte. Da du sagst, daЯ auch die Familie durch den ProzeЯ in Mitleidenschaft gezogen wьrde – was ich fьr meinen Teil durchaus nicht begreifen kann, das ist aber Nebensache –, so will dir gerne in allem folgen. Nur den Landaufenthalt halte ich selbst in deinem Sinne nicht fьr vorteilhaft, denn das wьrde Flucht und SchuldbewuЯtsein bedeuten. Ьberdies bin ich hier zwar mehr verfolgt, kann aber auch selbst die Sache mehr betreiben.« »Richtig«, sagte der Onkel in einem Ton, als kдmen sie jetzt endlich einander nдher, »ich machte den Vorschlag nur, weil ich, wenn du hier bliebst, die Sache von deiner Gleichgьltigkeit gefдhrdet sah und es fьr besser hielt, wenn ich statt deiner fьr dich arbeitete. Willst du es aber mit aller Kraft selbst betreiben, so ist es natьrlich weit besser.« »Darin wдren wir also einig«, sagte K. »Und hast du jetzt einen Vorschlag dafьr, was ich zunдchst machen soll?« »Ich muЯ mir natьrlich die Sache noch ьberlegen«, sagte der Onkel, »du muЯt bedenken, daЯ ich jetzt schon zwanzig Jahre fast ununterbrochen auf dem Lande bin, dabei lдЯt der Spьrsinn in diesen Richtungen nach. Verschiedene wichtige Verbindungen mit Persцnlichkeiten, die sich hier vielleicht besser auskennen, haben sich von selbst gelockert. Ich bin auf dem Land ein wenig verlassen, das weiЯt du ja. Selbst merkt man es eigentlich erst bei solchen Gelegenheiten. Zum Teil kam mir deine Sache auch unerwartet, wenn ich auch merkwьrdigerweise nach Ernas Brief schon etwas Derartiges ahnte und es heute bei deinem Anblick fast mit Bestimmtheit wuЯte. Aber das ist gleichgьltig, das Wichtigste ist jetzt, keine Zeit zu verlieren.« Schon wдhrend seiner Rede hatte er, auf den FuЯspitzen stehend, einem Automobil gewinkt und zog jetzt, wдhrend er gleichzeitig dem Wagenlenker eine Adresse zurief, K. hinter sich in den Wagen. »Wir fahren jetzt zum Advokaten Huld«, sagte er, »er war mein Schulkollege. Du kennst den Namen gewiЯ auch? Nicht? Das ist aber merkwьrdig. Er hat doch als Verteidiger und Armenadvokat einen bedeutenden Ruf. Ich aber habe besonders zu ihm als Menschen groЯes Vertrauen.« »Mir ist alles recht, was du unternimmst«, sagte K., obwohl ihm die eilige und dringliche Art, mit der der Onkel die Angelegenheit behandelte, Unbehagen verursachte. Es war nicht sehr erfreulich, als Angeklagter zu einem Armenadvokaten zu fahren. »Ich wuЯte nicht«, sagte er, »daЯ man in einer solchen Sache auch einen Advokaten zuziehen kцnne.« »Aber natьrlich«, sagte der Onkel, »das ist ja selbstverstдndlich. Warum denn nicht? Und nun erzдhle mir, damit ich ьber die Sache genau unterrichtet bin, alles, was bisher geschehen ist.« K. begann sofort zu erzдhlen, ohne irgend etwas zu verschweigen, seine vollstдndige Offenheit war der einzige Protest, den er sich gegen des Onkels Ansicht, der ProzeЯ sei eine groЯe Schande, erlauben konnte. Frдulein Bьrstners Namen erwдhnte er nur einmal und flьchtig, aber das beeintrдchtigte nicht die Offenheit, denn Frдulein Bьrstner stand mit dem ProzeЯ in keiner Verbindung. Wдhrend er erzдhlte, sah er aus dem Fenster und beobachtete, wie sie sich gerade jener Vorstadt nдherten, in der die Gerichtskanzleien waren, er machte den Onkel darauf aufmerksam, der aber das Zusammentreffen nicht besonders auffallend fand. Der Wagen hielt vor einem dunklen Haus. Der Onkel lдutete gleich im Parterre bei der ersten Tьr; wдhrend sie warteten, fletschte er lдchelnd seine groЯen Zдhne und flьsterte: »Acht Uhr, eine ungewцhnliche Zeit fьr Parteienbesuche. Huld nimmt es mir aber nicht ьbel.« Im Guckfenster der Tьr erschienen zwei groЯe, schwarze Augen, sahen ein Weilchen die zwei Gдste an und verschwanden; die Tьr цffnete sich aber nicht. Der Onkel und K. bestдtigten einander gegenseitig die Tatsache, die zwei Augen gesehen zu haben. »Ein neues Stubenmдdchen, das sich vor Fremden fьrchtet«, sagte der Onkel und klopfte nochmals. Wieder erschienen die Augen, man konnte sie jetzt fast fьr traurig halten, vielleicht war das aber auch nur eine Tдuschung, hervorgerufen durch die offene Gasflamme, die nahe ьber den Kцpfen stark zischend brannte, aber wenig Licht gab. »Цffnen Sie«, rief der Onkel und hieb mit der Faust gegen die Tьr, »es sind Freunde des Herrn Advokaten!« »Der Herr Advokat ist krank«, flьsterte es hinter ihnen. In einer Tьr am andern Ende des kleinen Ganges stand ein Herr im Schlafrock und machte mit дuЯerst leiser Stimme diese Mitteilung. Der Onkel, der schon wegen des langen Wartens wьtend war, wandte sich mit einem Ruck um, rief: »Krank? Sie sagen, er ist krank?« und ging fast drohend, als sei der Herr die Krankheit, auf ihn zu. »Man hat schon geцffnet«, sagte der Herr, zeigte auf die Tьr des Advokaten, raffte seinen Schlafrock zusammen und verschwand. Die Tьr war wirklich geцffnet worden, ein junges Mдdchen – K. erkannte die dunklen, ein wenig hervorgewдlzten Augen wieder – stand in langer, weiЯer Schьrze im Vorzimmer und hielt eine Kerze in der Hand. »Nдchstens цffnen Sie frьher!« sagte der Onkel statt einer BegrьЯung, wдhrend das Mдdchen einen kleinen Knicks machte. »Komm, Josef«, sagte er dann zu K., der sich langsam an dem Mдdchen vorьberschob. »Der Herr Advokat ist krank«, sagte das Mдdchen, da der Onkel, ohne sich aufzuhalten, auf eine Tьr zueilte. K. staunte das Mдdchen noch an, wдhrend es sich schon umgedreht hatte, um die Wohnungstьr wieder zu versperren, es hatte ein puppenfцrmiges gerundetes Gesicht, nicht nur die bleichen Wangen und das Kinn verliefen rund, auch die Schlдfen und die Stirnrдnder. »Josef!« rief der Onkel wieder, und das Mдdchen fragte er: »Es ist das Herzleiden?« »Ich glaube wohl«, sagte das Mдdchen, es hatte Zeit gefunden, mit der Kerze voranzugehen und die Zimmertьr zu цffnen. In einem Winkel des Zimmers, wohin das Kerzenlicht noch nicht drang, erhob sich im Bett ein Gesicht mit langem Bart. »Leni, wer kommt denn?« fragte der Advokat, der, durch die Kerze geblendet, die Gдste nicht erkannte. »Albert, dein alter Freund ist es«, sagte der Onkel. »Ach, Albert«, sagte der Advokat und lieЯ sich auf die Kissen zurьckfallen, als bedьrfe es diesem Besuch gegenьber keiner Verstellung. »Steht es wirklich so schlecht?« fragte der Onkel und setzte sich auf den Bettrand. »Ich glaube es nicht. Es ist ein Anfall deines Herzleidens und wird vorьbergehen wie die frьheren.« »Mцglich«, sagte der Advokat leise, »es ist aber дrger, als es jemals gewesen ist. Ich atme schwer, schlafe gar nicht und verliere tдglich an Kraft.« »So«, sagte der Onkel und drьckte den Panamahut mit seiner groЯen Hand fest aufs Knie. »Das sind schlechte Nachrichten. Hast du ьbrigens die richtige Pflege? Es ist auch so traurig hier, so dunkel. Es ist schon lange her, seit ich zum letztenmal hier war, damals schien es mir freundlicher. Auch dein kleines Frдulein hier scheint nicht sehr lustig, oder sie verstellt sich.« Das Mдdchen stand noch immer mit der Kerze nahe bei der Tьr; soweit ihr unbestimmter Blick erkennen lieЯ, sah sie eher K. an als den Onkel, selbst als dieser jetzt von ihr sprach. K. lehnte an einem Sessel, den er in die Nдhe des Mдdchens geschoben hatte. »Wenn man so krank ist wie ich«, sagte der Advokat, »muЯ man Ruhe haben. Mir ist es nicht traurig.« Nach einer kleinen Pause fьgte er hinzu: »Und Leni pflegt mich gut, sie ist brav.« Den Onkel konnte das aber nicht ьberzeugen, er war sichtlich gegen die Pflegerin voreingenommen, und wenn er auch dem Kranken nichts entgegnete, so verfolgte er doch die Pflegerin mit strengen Blicken, als sie jetzt zum Bett hinging, die Kerze auf das Nachttischchen stellte, sich ьber den Kranken hinbeugte und beim Ordnen der Kissen mit ihm flьsterte. Er vergaЯ fast die Rьcksicht auf den Kranken, stand auf, ging hinter der Pflegerin hin und her, und K. hдtte es nicht gewundert, wenn er sie hinten an den Rцcken erfaЯt und vom Bett fortgezogen hдtte. K. selbst sah allem ruhig zu, die Krankheit des Advokaten war ihm sogar nicht ganz unwillkommen, dem Eifer, den der Onkel fьr seine Sache entwickelt hatte, hatte er sich nicht entgegenstellen kцnnen, die Ablenkung, die dieser Eifer jetzt ohne sein Zutun erfuhr, nahm er gerne hin. Da sagte der Onkel, vielleicht nur in der Absicht, die Pflegerin zu beleidigen: »Frдulein, bitte, lassen Sie uns ein Weilchen allein, ich habe mit meinem Freund eine persцnliche Angelegenheit zu besprechen.« Die Pflegerin, die noch weit ьber den Kranken hingebeugt war und gerade das Leintuch an der Wand glдttete, wendete nur den Kopf und sagte sehr ruhig, was einen auffallenden Unterschied zu den vor Wut stockenden und dann wieder ьberflieЯenden Reden des Onkels bildete: »Sie sehen, der Herr ist so krank, er kann keine Angelegenheiten besprechen.« Sie hatte die Worte des Onkels wahrscheinlich nur aus Bequemlichkeit wiederholt, immerhin konnte es selbst von einem Unbeteiligten als spцttisch aufgefaЯt werden, der Onkel aber fuhr natьrlich wie ein Gestochener auf. »Du Verdammte«, sagte er im ersten Gurgeln der Aufregung noch ziemlich unverstдndlich, K. erschrak, obwohl er etwas Дhnliches erwartet hatte, und lief auf den Onkel zu, mit der bestimmten Absicht, ihm mit beiden Hдnden den Mund zu schlieЯen. Glьcklicherweise erhob sich aber hinter dem Mдdchen der Kranke, der Onkel machte ein finsteres Gesicht, als schlucke er etwas Abscheuliches hinunter, und sagte dann ruhiger: »Wir haben natьrlich auch noch den Verstand nicht verloren; wдre das, was ich verlange, nicht mцglich, wьrde ich es nicht verlangen. Bitte, gehen Sie jetzt!« Die Pflegerin stand aufgerichtet am Bett, dem Onkel voll zugewendet, mit der einen Hand streichelte sie, wie K. zu bemerken glaubte, die Hand des Advokaten. »Du kannst vor Leni alles sagen«, sagte der Kranke, zweifellos im Ton einer dringenden Bitte. »Es betrifft mich nicht«, sagte der Onkel, »es ist nicht mein Geheimnis.« Und er drehte sich um, als gedenke er in keine Verhandlungen mehr einzugehen, gebe aber noch eine kleine Bedenkzeit. »Wen betrifft es denn?« fragte der Advokat mit erlцschender Stimme und legte sich wieder zurьck. »Meinen Neffen«, sagte der Onkel, »ich habe ihn auch mitgebracht.« Und er stellte vor: »Prokurist Josef K.« »Oh«, sagte der Kranke viel lebhafter und streckte K. die Hand entgegen, »verzeihen Sie, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Geh, Leni«, sagte er dann zu der Pflegerin, die sich auch gar nicht mehr wehrte, und reichte ihr die Hand, als gelte es einen Abschied fьr lange Zeit. »Du bist also«, sagte er endlich zum Onkel, der, auch versцhnt, nдhergetreten war, »nicht gekommen, mir einen Krankenbesuch zu machen, sondern du kommst in Geschдften.« Es war, als hдtte die Vorstellung eines Krankenbesuchs den Advokaten bisher gelдhmt, so gekrдftigt sah er jetzt aus, blieb stдndig auf einem Ellbogen aufgestьtzt, was ziemlich anstrengend sein muЯte, und zog immer wieder an einem Bartstrahn in der Mitte seines Bartes. »Du siehst schon viel gesьnder aus«, sagte der Onkel, »seit diese Hexe drauЯen ist.« Er unterbrach sich, flьsterte: »Ich wette, daЯ sie horcht!« und er sprang zur Tьr. Aber hinter der Tьr war niemand, der Onkel kam zurьck, nicht enttдuscht, denn ihr Nichthorchen erschien ihm als eine noch grцЯere Bosheit, wohl aber verbittert: »Du verkennst sie«, sagte der Advokat, ohne die Pflegerin weiter in Schutz zu nehmen; vielleicht wollte er damit ausdrьcken, daЯ sie nicht schutzbedьrftig sei. Aber in viel teilnehmenderem Tone fuhr er fort: »Was die Angelegenheit deines Herrn Neffen betrifft, so wьrde ich mich allerdings glьcklich schдtzen, wenn meine Kraft fьr diese дuЯerst schwierige Aufgabe ausreichen kцnnte; ich fьrchte sehr, daЯ sie nicht ausreichen wird, jedenfalls will ich nichts unversucht lassen; wenn ich nicht ausreiche, kцnnte man ja noch jemanden anderen beiziehen. Um aufrichtig zu sein, interessiert mich die Sache zu sehr, als daЯ ich es ьber mich bringen kцnnte, auf jede Beteiligung zu verzichten. Hдlt es mein Herz nicht aus, so wird es doch wenigstens hier eine wьrdige Gelegenheit finden, gдnzlich zu versagen.« K. glaubte, kein Wort dieser ganzen Rede zu verstehen, er sah den Onkel an, um dort eine Erklдrung zu finden, aber dieser saЯ, mit der Kerze in der Hand, auf dem Nachttischchen, von dem bereits eine Arzneimittelflasche auf den Teppich gerollt war, nickte zu allem, was der Advokat sagte, war mit allem einverstanden und sah hie und da auf K. mit der Aufforderung zu gleichem Einverstдndnis hin. Hatte vielleicht der Onkel schon frьher dem Advokaten von dem ProzeЯ erzдhlt? Aber das war unmцglich, alles, was vorhergegangen war, sprach dagegen. »Ich verstehe nicht –«, sagte er deshalb. »Ja, habe vielleicht ich Sie miЯverstanden?« fragte der Advokat ebenso erstaunt und verlegen wie K. »Ich war vielleicht voreilig. Worьber wollten Sie denn mit mir sprechen? Ich dachte, es handle sich um Ihren ProzeЯ?« »Natьrlich«, sagte der Onkel und fragte dann K.: »Was willst du denn?« »Ja, aber woher wissen Sie denn etwas ьber mich und meinen ProzeЯ?« fragte K. »Ach so«, sagte der Advokat lдchelnd, »Ich bin doch Advokat, ich verkehre in Gerichtskreisen, man spricht ьber verschiedene Prozesse, und auffallendere, besonders wenn es den Neffen eines Freundes betrifft, behдlt man im Gedдchtnis. Das ist doch nichts Merkwьrdiges.« »Was willst du denn?« fragte der Onkel K. nochmals. »Du bist so unruhig.« »Sie verkehren in diesen Gerichtskreisen?« fragte K. »Ja«, sagte der Advokat. »Du fragst wie ein Kind«, sagte der Onkel. »Mit wem sollte ich denn verkehren, wenn nicht mit Leuten meines Faches?« fьgte der Advokat hinzu. Es klang so unwiderleglich, daЯ K. gar nicht antwortete. »Sie arbeiten doch bei dem Gericht im Justizpalast, und nicht bei dem auf dem Dachboden«, hatte er sagen wollen, konnte sich aber nicht ьberwinden, es wirklich zu sagen. »Sie mьssen doch bedenken«, fuhr der Advokat fort, in einem Tone, als erklдre er etwas Selbstverstдndliches ьberflьssigerweise und nebenbei, »Sie mьssen doch bedenken, daЯ ich aus einem solchen Verkehr auch groЯe Vorteile fьr meine Klientel ziehe, und zwar in vielfacher Hinsicht, man darf nicht einmal immer davon reden. Natьrlich bin ich jetzt infolge meiner Krankheit ein wenig behindert, aber ich bekomme trotzdem Besuch von guten Freunden vom Gericht und erfahre doch einiges. Erfahre vielleicht mehr als manche, die in bester Gesundheit den ganzen Tag bei Gericht verbringen. So habe ich zum Beispiel gerade jetzt einen lieben Besuch.« Und er zeigte in eine dunkle Zimmerecke. »Wo denn?« fragte K. in der ersten Ьberraschung fast grob. Er sah unsicher herum; das Licht der kleinen Kerze drang bis zur gegenьberliegenden Wand bei weitem nicht. Und wirklich begann sich dort in der Ecke etwas zu rьhren. Im Licht der Kerze, die der Onkel jetzt hochhielt, sah man dort, bei einem kleinen Tischchen, einen дlteren Herrn sitzen. Er hatte wohl gar nicht geatmet, daЯ er so lange unbemerkt geblieben war. Jetzt stand er umstдndlich auf, offenbar unzufrieden damit, daЯ man auf ihn aufmerksam gemacht hatte. Es war, als wolle er mit den Hдnden, die er wie kurze Flьgel bewegte, alle Vorstellungen und BegrьЯungen abwehren, als wolle er auf keinen Fall die anderen durch seine Anwesenheit stцren und als bitte er dringend wieder um die Versetzung ins Dunkel und um das Vergessen seiner Anwesenheit. Das konnte man ihm nun aber nicht mehr zugestehen. »Ihr habt uns nдmlich ьberrascht«, sagte der Advokat zur Erklдrung und winkte dabei dem Herrn aufmunternd zu, nдherzukommen, was dieser langsam, zцgernd herumblickend und doch mit einer gewissen Wьrde tat, »der Herr Kanzleidirektor – ach so, Verzeihung, ich habe nicht vorgestellt – hier mein Freund Albert K., hier sein Neffe, Prokurist Josef K., und hier der Herr Kanzleidirektor – der Herr Kanzleidirektor also war so freundlich, mich zu besuchen. Den Wert eines solchen Besuches kann eigentlich nur der Eingeweihte wьrdigen, welcher weiЯ, wie der Herr Kanzleidirektor mit Arbeit ьberhдuft ist. Nun, er kam aber trotzdem, wir unterhielten uns friedlich, soweit meine Schwдche es erlaubte, wir hatten zwar Leni nicht verboten, Besuche einzulassen, denn es waren keine zu erwarten, aber unsere Meinung war doch, daЯ wir allein bleiben sollten, dann aber kamen deine Fausthiebe, Albert, der Herr Kanzleidirektor rьckte mit Sessel und Tisch in den Winkel, nun aber zeigt sich, daЯ wir mцglicherweise, das heiЯt, wenn der Wunsch danach besteht, eine gemeinsame Angelegenheit zu besprechen haben und sehr gut wieder zusammenrьcken kцnnen. – Herr Kanzleidirektor«, sagte er mit Kopfneigen und unterwьrfigem Lдcheln und zeigte auf einen Lehnstuhl in der Nдhe des Bettes. »Ich kann leider nur noch ein paar Minuten bleiben«, sagte der Kanzleidirektor freundlich, setzte sich breit in den Lehnstuhl und sah auf die Uhr, »die Geschдfte rufen mich. Jedenfalls will ich nicht die Gelegenheit vorьbergehen lassen, einen Freund meines Freundes kennenzulernen.« Er neigte den Kopf leicht gegen den Onkel, der von der neuen Bekanntschaft sehr befriedigt schien, aber infolge seiner Natur Gefьhle der Ergebenheit nicht ausdrьcken konnte und die Worte des Kanzleidirektors mit verlegenem, aber lautem Lachen begleitete. Ein hдЯlicher Anblick! K. konnte ruhig alles beobachten, denn um ihn kьmmerte sich niemand, der Kanzleidirektor nahm, wie es seine Gewohnheit schien, da er nun schon einmal hervorgezogen war, die Herrschaft ьber das Gesprдch an sich, der Advokat, dessen erste Schwдche vielleicht nur dazu hatte dienen sollen, den neuen Besuch zu vertreiben, hцrte aufmerksam, die Hand am Ohre zu, der Onkel als Kerzentrдger – er balancierte die Kerze auf seinem Schenkel, der Advokat sah цfter besorgt hin – war bald frei von Verlegenheit und nur noch entzьckt, sowohl von der Art der Rede des Kanzleidirektors als auch von den sanften, wellenfцrmigen Handbewegungen, mit denen er sie begleitete. K., der am Bettpfosten lehnte, wurde vom Kanzleidirektor vielleicht sogar mit Absicht vollstдndig vernachlдssigt und diente den alten Herren nur als Zuhцrer. Ьbrigens wuЯte er kaum, wovon die Rede war und dachte bald an die Pflegerin und an die schlechte Behandlung, die sie vom Onkel erfahren hatte, bald daran, ob er den Kanzleidirektor nicht schon einmal gesehen hatte, vielleicht sogar in der Versammlung bei seiner ersten Untersuchung. Wenn er sich auch vielleicht tдuschte, so hдtte sich doch der Kanzleidirektor den Versammlungsteilnehmern in der ersten Reihe, den alten Herren mit den schьtteren Bдrten, vorzьglich eingefьgt.
Da lieЯ ein Lдrm aus dem Vorzimmer, wie von zerbrechendem Porzellan, alle aufhorchen. »Ich will nachsehen, was geschehen ist«, sagte K. und ging langsam hinaus, als gebe er den anderen noch Gelegenheit, ihn zurьckzuhalten. Kaum war er ins Vorzimmer getreten und wollte sich im Dunkel zurechtfinden, als sich auf die Hand, mit der er die Tьr noch festhielt, eine kleine Hand legte, viel kleiner als K.
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