А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

Er benцtigte offenbar die Mitteilungen des Advokaten sehr dringend, aber vielleicht nur zu dem Zweck, um sie durch seine ьbrigen Advokaten ausnutzen zu lassen. Leni wuЯte wahrscheinlich genau, wie man dem Advokaten beikommen kцnne, sie zeigte auf die Hand des Advokaten und spitzte die Lippen wie zum KuЯ. Gleich fьhrte Block den HandkuЯ aus und wiederholte ihn, auf eine Aufforderung Lenis hin, noch zweimal. Aber der Advokat schwieg noch immer. Da beugte sich Leni ьber den Advokaten hin, der schцne Wuchs ihres Kцrpers wurde sichtbar, als sie sich so streckte, und strich, tief zu seinem Gesicht geneigt, ьber sein langes, weiЯes Haar. Das zwang ihm nun doch eine Antwort ab. »Ich zцgere, es ihm mitzuteilen«, sagte der Advokat, und man sah, wie er den Kopf ein wenig schьttelte, vielleicht, um des Druckes von Lenis Hand mehr teilhaftig zu werden. Block horchte mit gesenktem Kopf, als ьbertrete er durch dieses Horchen ein Gebot. »Warum zцgerst du denn?« fragte Leni. K. hatte das Gefьhl, als hцre er ein einstudiertes Gesprдch, das sich schon oft wiederholt hatte, das sich noch oft wiederholen wьrde und das nur fьr Block seine Neuheit nicht verlieren konnte. »Wie hat er sich heute verhalten?« fragte der Advokat, statt zu antworten. Ehe sich Leni darьber дuЯerte, sah sie zu Block hinunter und beobachtete ein Weilchen, wie er die Hдnde ihr entgegenhob und bittend aneinander rieb. SchlieЯlich nickte sie ernst, wandte sich zum Advokaten und sagte: »Er war ruhig und fleiЯig.« Ein alter Kaufmann, ein Mann mit langem Bart, flehte ein junges Mдdchen um ein gьnstiges Zeugnis an. Mochte er dabei auch Hintergedanken haben, nichts konnte ihn in den Augen eines Mitmenschen rechtfertigen. K. begriff nicht, wie der Advokat daran hatte denken kцnnen, durch diese Vorfьhrung ihn zu gewinnen. Hдtte er ihn nicht schon frьher verjagt, er hдtte es durch diese Szene erreicht. Er entwьrdigte fast den Zuseher. So bewirkte also die Methode des Advokaten, welcher K. glьcklicherweise nicht lange genug ausgesetzt gewesen war, daЯ der Klient schlieЯlich die ganze Welt vergaЯ und nur auf diesem Irrweg zum Ende des Prozesses sich fortzuschleppen hoffte. Das war kein Klient mehr, das war der Hund des Advokaten. Hдtte ihm dieser befohlen, unter das Bett wie in eine Hundehьtte zu kriechen und von dort aus zu bellen, er hдtte es mit Lust getan. Als sei K. beauftragt, alles, was hier gesprochen wurde, genau in sich aufzunehmen, an einem hцheren Ort die Anzeige davon zu erstatten und einen Bericht abzulegen, hцrte er prьfend und ьberlegen zu. »Was hat er wдhrend des ganzen Tages getan?« fragte der Advokat. »Ich habe ihn«, sagte Leni, »damit er mich bei der Arbeit nicht stцre, in dem Dienstmдdchenzimmer eingesperrt, wo er sich ja gewцhnlich aufhдlt. Durch die Lьcke konnte ich von Zeit zu Zeit nachsehen, was er machte. Er kniete immer auf dem Bett, hatte die Schriften, die du ihm geliehen hast, auf dem Fensterbrett aufgeschlagen und las in ihnen. Das hat einen guten Eindruck auf mich gemacht; das Fenster fьhrt nдmlich nur in einen Luftschacht und gibt fast kein Licht. DaЯ Block trotzdem las, zeigte mir, wie folgsam er ist.« »Es freut mich, das zu hцren«, sagte der Advokat. »Hat er aber auch mit Verstдndnis gelesen?« Block bewegte wдhrend dieses Gesprдchs unaufhцrlich die Lippen, offenbar formulierte er die Antworten, die er von Leni erhoffte. »Darauf kann ich natьrlich«, sagte Leni, »nicht mit Bestimmtheit antworten. Jedenfalls habe ich gesehen, daЯ er grьndlich las. Er hat den ganzen Tag ьber die gleiche Seite gelesen und beim Lesen den Finger die Zeilen entlanggefьhrt. Immer, wenn ich zu ihm hineinsah, hat er geseufzt, als mache ihm das Lesen viel Mьhe. Die Schriften, die du ihm geliehen hast, sind wahrscheinlich schwer verstдndlich.« »Ja«, sagte der Advokat, »das sind sie allerdings. Ich glaube auch nicht, daЯ er etwas von ihnen versteht. Sie sollen ihm nur eine Ahnung davon geben, wie schwer der Kampf ist, den ich zu seiner Verteidigung fьhre. Und fьr wen fьhre ich diesen schweren Kampf? Fьr – es ist fast lдcherlich, es auszusprechen – fьr Block. Auch was das bedeutet, soll er begreifen lernen. Hat er ununterbrochen studiert?« »Fast ununterbrochen«, antwortete Leni, »nur einmal hat er mich um Wasser zum Trinken gebeten. Da habe ich ihm ein Glas durch die Luke gereicht. Um acht Uhr habe ich ihn dann herausgelassen und ihm etwas zu essen gegeben.« Block streifte K. mit einem Seitenblick, als werde hier Rьhmendes von ihm erzдhlt und mьsse auch auf K. Eindruck machen. Er schien jetzt gute Hoffnungen zu haben, bewegte sich freier und rьckte auf den Knien hin und her. Desto deutlicher war es, wie er unter den folgenden Worten des Advokaten erstarrte: »Du lobst ihn«, sagte der Advokat. »Aber gerade das macht es mir schwer, zu reden. Der Richter hatte sich nдmlich nicht gьnstig ausgesprochen, weder ьber Block selbst, noch ьber seinen ProzeЯ.« »Nicht gьnstig?« fragte Leni. »Wie ist das mцglich?« Block sah sie mit einem so gespannten Blick an, als traue er ihr die Fдhigkeit zu, jetzt noch die lдngst ausgesprochenen Worte des Richters zu seinen Gunsten zu wenden. »Nicht gьnstig«, sagte der Advokat. »Er war sogar unangenehm berьhrt, als ich von Block zu sprechen anfing. ›Reden Sie nicht von Block‹, sagte er. ›Er ist mein Klient‹, sagte ich. ›Sie lassen sich miЯbrauchen‹, sagte er. ›Ich halte seine Sache nicht fьr verloren‹, sagte ich. ›Sie lassen sich miЯbrauchen‹, wiederholte er. ›Ich glaube es nicht‹, sagte ich. ›Block ist im ProzeЯ fleiЯig und immer hinter seiner Sache her. Er wohnt fast bei mir, um immer auf dem laufenden zu sein. Solchen Eifer findet man nicht immer. GewiЯ, er ist persцnlich nicht angenehm, hat hдЯliche Umgangsformen und ist schmutzig, aber in prozessualer Hinsicht ist er untadelhaft.‹ Ich sagte untadelhaft, ich ьbertrieb absichtlich. Darauf sagte er: ›Block ist bloЯ schlau. Er hat viel Erfahrung angesammelt und versteht es, den ProzeЯ zu verschleppen. Aber seine Unwissenheit ist noch viel grцЯer als seine Schlauheit. Was wьrde er wohl dazu sagen, wenn er erfьhre, daЯ sein ProzeЯ noch gar nicht begonnen hat, wenn man ihm sagte, daЯ noch nicht einmal das Glockenzeichen zum Beginn des Prozesses gegeben ist.‹ Ruhig, Block«, sagte der Advokat, denn Block begann sich gerade auf unsicheren Knien zu erheben und wollte offenbar um Aufklдrung bitten. Es war jetzt das erstemal, daЯ sich der Advokat mit ausfьhrlichen Worten geradezu an Block wendete. Mit mьden Augen sah er halb ziellos, halb zu Block hinunter, der unter diesem Blick wieder langsam in die Knie zurьcksank. »Diese ДuЯerung des Richters hat fьr dich gar keine Bedeutung«, sagte der Advokat. »Erschrick doch nicht bei jedem Wort. Wenn sich das wiederholt, werde ich dir gar nichts mehr verraten. Man kann keinen Satz beginnen, ohne daЯ du einen anschaust, als ob jetzt dein Endurteil kдme. Schдme dich hier vor meinem Klienten! Auch erschьtterst du das Vertrauen, das er in mich setzt. Was willst du denn? Noch lebst du, noch stehst du unter meinem Schutz. Sinnlose Angst! Du hast irgendwo gelesen, daЯ das Endurteil in manchen Fдllen unversehens komme, aus beliebigem Munde, zu beliebiger Zeit. Mit vielen Vorbehalten ist das allerdings wahr, ebenso wahr aber ist es, daЯ mich deine Angst anwidert und daЯ ich darin einen Mangel des notwendigen Vertrauens sehe. Was habe ich denn gesagt? Ich habe die ДuЯerung eines Richters wiedergegeben. Du weiЯt, die verschiedenen Ansichten hдufen sich um das Verfahren bis zur Undurchdringlichkeit. Dieser Richter zum Beispiel nimmt den Anfang des Verfahrens zu einem anderen Zeitpunkt an als ich. Ein Meinungsunterschied, nichts weiter. In einem gewissen Stadium des Prozesses wird nach altem Brauch ein Glockenzeichen gegeben. Nach der Ansicht dieses Richters beginnt damit der ProzeЯ. Ich kann dir jetzt nicht alles sagen, was dagegen spricht, du wьrdest es auch nicht verstehen, es genьge dir, daЯ viel dagegen spricht.« Verlegen fuhr Block unten mit den Fingern durch das Fell des Bettvorlegers, die Angst wegen des Ausspruchs des Richters lieЯ ihn zeitweise die eigene Untertдnigkeit gegenьber dem Advokaten vergessen, er dachte dann nur an sich und drehte die Worte des Richters nach allen Seiten. »Block«, sagte Leni in warnendem Ton und zog ihn am Rockkragen ein wenig in die Hцhe. »LaЯ jetzt das Fell und hцre dem Advokaten zu.«
(Dieses Kapitel wurde nicht vollendet)

Neuntes Kapitel Im Dom

K. bekam den Auftrag, einem italienischen Geschдftsfreund der Bank, der fьr sie sehr wichtig war und sich zum erstenmal in dieser Stadt aufhielt, einige Kunstdenkmдler zu zeigen. Es war ein Auftrag, den er zu anderer Zeit gewiЯ fьr ehrend gehalten hдtte, den er aber jetzt, da er nur mit groЯer Anstrengung sein Ansehen in der Bank noch wahren konnte, widerwillig ьbernahm. Jede Stunde, die er dem Bьro entzogen wurde, machte ihm Kummer; er konnte zwar die Bьrozeit bei weitem nicht mehr so ausnьtzen wie frьher, er brachte manche Stunden nur unter dem notdьrftigsten Anschein wirklicher Arbeit hin, aber desto grцЯer waren seine Sorgen, wenn er nicht im Bьro war. Er glaubte dann zu sehen, wie der Direktor-Stellvertreter, der ja immer auf der Lauer gewesen war, von Zeit zu Zeit in sein Bьro kam, sich an seinen Schreibtisch setzte, seine Schriftstьcke durchsuchte, Parteien, mit denen K. seit Jahren fast befreundet gewesen war, empfing und ihm abspenstig machte, ja vielleicht sogar Fehler aufdeckte, von denen sich K. wдhrend der Arbeit jetzt immer aus tausend Richtungen bedroht sah und die er nicht mehr vermeiden konnte. Wurde er daher einmal, sei es in noch so auszeichnender Weise, zu einem Geschдftsweg oder gar zu einer kleinen Reise beauftragt – solche Auftrдge hatten sich in der letzten Zeit ganz zufдllig gehдuft –, dann lag immerhin die Vermutung nahe, daЯ man ihn fьr ein Weilchen aus dem Bьro entfernen und seine Arbeit ьberprьfen wolle oder wenigstens, daЯ man im Bьro ihn fьr leicht entbehrlich halte. Die meisten dieser Auftrдge hдtte er ohne Schwierigkeiten ablehnen kцnnen, aber er wagte es nicht, denn, wenn seine Befьrchtung auch nur im geringsten begrьndet war, bedeutete die Ablehnung des Auftrags Gestдndnis seiner Angst. Aus diesem Grunde nahm er solche Auftrдge scheinbar gleichmьtig hin und verschwieg sogar, als er eine anstrengende zweitдgige Geschдftsreise machen sollte, eine ernstliche Verkьhlung, um sich nur nicht der Gefahr auszusetzen, mit Berufung auf das gerade herrschende regnerische Herbstwetter von der Reise abgehalten zu werden. Als er von dieser Reise mit wьtenden Kopfschmerzen zurьckkehrte, erfuhr er, daЯ er dazu bestimmt sei, am nдchsten Tag den italienischen Geschдftsfreund zu begleiten. Die Verlockung, sich wenigstens dieses eine Mal zu weigern, war sehr groЯ, vor allem war das, was man ihm hier zugedacht hatte, keine unmittelbar mit dem Geschдft zusammenhдngende Arbeit, aber die Erfьllung dieser gesellschaftlichen Pflicht gegenьber dem Geschдftsfreund war an sich zweifellos wichtig genug, nur nicht fьr K., der wohl wuЯte, daЯ er sich nur durch Arbeitserfolge erhalten kцnne und daЯ es, wenn ihm das nicht gelдnge, vollstдndig wertlos war, wenn er diesen Italiener unerwarteterweise sogar bezaubern sollte; er wollte nicht einmal fьr einen Tag aus dem Bereich der Arbeit geschoben werden, denn die Furcht, nicht mehr zurьckgelassen zu werden, war zu groЯ, eine Furcht, die er sehr genau als ьbertrieben erkannte, die ihn aber doch beengte. In diesem Fall allerdings war es fast unmцglich, einen annehmbaren Einwand zu erfinden. K.s Kenntnis des Italienischen war zwar nicht sehr groЯ, aber immerhin genьgend; das Entscheidende aber war, daЯ K. aus frьherer Zeit einige kunsthistorische Kenntnisse besaЯ, was in дuЯerst ьbertriebener Weise dadurch in der Bank bekanntgeworden war, daЯ K. eine Zeitlang, ьbrigens auch nur aus geschдftlichen Grьnden, Mitglied des Vereins zur Erhaltung der stдdtischen Kunstdenkmдler gewesen war. Nun war aber der Italiener, wie man gerьchteweise erfahren hatte, ein Kunstliebhaber, und die Wahl K.s zu seinem Begleiter war daher selbstverstдndlich.
Es war ein sehr regnerischer, stьrmischer Morgen, als K. voll Дrger ьber den Tag, der ihm bevorstand, schon um sieben Uhr ins Bьro kam, um wenigstens einige Arbeit noch fertigzubringen, ehe der Besuch ihn allem entziehen wьrde. Er war sehr mьde, denn er hatte die halbe Nacht mit dem Studium einer italienischen Grammatik verbracht, um sich ein wenig vorzubereiten; das Fenster, an dem er in der letzten Zeit viel zu oft zu sitzen pflegte, lockte ihn mehr als der Schreibtisch, aber er widerstand und setzte sich zur Arbeit. Leider trat gerade der Diener ein und meldete, der Herr Direktor habe ihn geschickt, um nachzusehen, ob der Herr Prokurist schon hier sei; sei er hier, dann mцge er so freundlich sein und ins Empfangszimmer hinьberkommen, der Herr aus Italien sei schon da. »Ich komme schon«, sagte K., steckte ein kleines Wцrterbuch in die Tasche, nahm ein Album der stдdtischen Sehenswьrdigkeiten, das er fьr den Fremden vorbereitet hatte, unter den Arm und ging durch das Bьro des Direktor-Stellvertreters in das Direktionszimmer. Er war glьcklich darьber, so frьh ins Bьro gekommen zu sein und sofort zur Verfьgung stehen zu kцnnen, was wohl niemand ernstlich erwartet hatte. Das Bьro des Direktor-Stellvertreters war natьrlich noch leer wie in tiefer Nacht, wahrscheinlich hatte der Diener auch ihn ins Empfangszimmer berufen sollen, es war aber erfolglos gewesen. Als K. ins Empfangszimmer eintrat, erhoben sich die zwei Herren aus den tiefen Fauteuils. Der Direktor lдchelte freundlich, offenbar war er sehr erfreut ьber K.s Kommen, er besorgte sofort die Vorstellung, der Italiener schьttelte K. krдftig die Hand und nannte lдchelnd irgend jemanden einen Frьhaufsteher. K. verstand nicht genau, wen er meinte, es war ьberdies ein sonderbares Wort, dessen Sinn K. erst nach einem Weilchen erriet. Er antwortete mit einigen glatten Sдtzen, die der Italiener wieder lachend hinnahm, wobei er mehrmals mit nervцser Hand ьber seinen graublauen, buschigen Schnurrbart fuhr. Dieser Bart war offenbar parfьmiert, man war fast versucht, sich zu nдhern und zu riechen. Als sich alle gesetzt hatten und ein kleines, einleitendes Gesprдch begann, bemerkte K. mit groЯem Unbehagen, daЯ er den Italiener nur bruchstьckweise verstand. Wenn er ganz ruhig sprach, verstand er ihn fast vollstдndig, das waren aber nur seltene Ausnahmen, meistens quoll ihm die Rede aus dem Mund, er schьttelte den Kopf wie vor Lust darьber. Bei solchen Reden aber verwickelte er sich regelmдЯig in irgendeinen Dialekt, der fьr K. nichts Italienisches mehr hatte, den aber der Direktor nicht nur verstand, sondern auch sprach, was K. allerdings hдtte voraussehen kцnnen, denn der Italiener stammte aus Sьditalien, wo auch der Direktor einige Jahre gewesen war. Jedenfalls erkannte K., daЯ ihm die Mцglichkeit, sich mit dem Italiener zu verstдndigen, zum grцЯten Teil genommen war, denn auch dessen Franzцsisch war nur schwer verstдndlich, auch verdeckte der Bart die Lippenbewegungen, deren Anblick vielleicht zum Verstдndnis geholfen hдtte. K. begann viel Unannehmlichkeiten vorauszusehen, vorlдufig gab er es auf, den Italiener verstehen zu wollen – in der Gegenwart des Direktors, der ihn so leicht verstand, wдre es unnцtige Anstrengung gewesen –, und er beschrдnkte sich darauf, ihn verdrieЯlich zu beobachten, wie er tief und doch leicht in dem Fauteuil ruhte, wie er цfters an seinem kurzen, scharf geschnittenen Rцckchen zupfte und wie er einmal mit erhobenen Armen und lose in den Gelenken bewegten Hдnden irgend etwas darzustellen versuchte, das K. nicht begreifen konnte, obwohl er vorgebeugt die Hдnde nicht aus den Augen lieЯ. SchlieЯlich machte sich bei K., der sonst unbeschдftigt, nur mechanisch mit den Blicken dem Hin und Her der Reden folgte, die frьhere Mьdigkeit geltend, und er ertappte sich einmal zu seinem Schrecken, glьcklicherweise noch rechtzeitig, dabei, daЯ er in der Zerstreutheit gerade hatte aufstehen, sich umdrehen und weggehen wollen. Endlich sah der Italiener auf die Uhr und sprang auf. Nachdem er sich vom Direktor verabschiedet hatte, drдngte er sich an K., und zwar so dicht, daЯ K. seinen Fauteuil zurьckschieben muЯte, um sich bewegen zu kцnnen. Der Direktor, der gewiЯ an K.s Augen die Not erkannte, in der er sich gegenьber diesem Italienisch befand, mischte sich in das Gesprдch, und zwar so klug und so zart, daЯ es den Anschein hatte, als fьge er nur kleine Ratschlдge bei, wдhrend er in Wirklichkeit alles, was der Italiener, unermьdlich ihm in die Rede fallend, vorbrachte, in aller Kьrze K. verstдndlich machte. K. erfuhr von ihm, daЯ der Italiener vorlдufig noch einige Geschдfte zu besorgen habe, daЯ er leider auch im ganzen nur wenig Zeit haben werde, daЯ er auch keinesfalls beabsichtige, in Eile alle Sehenswьrdigkeiten abzulaufen, daЯ er sich vielmehr – allerdings nur, wenn K. zustimme, bei ihm allein liege die Entscheidung – entschlossen habe, nur den Dom, diesen aber grьndlich, zu besichtigen. Er freue sich ungemein, diese Besichtigung in Begleitung eines so gelehrten und liebenswьrdigen Mannes – damit war K. gemeint, der mit nichts anderem beschдftigt war, als den Italiener zu ьberhцren und die Worte des Direktors schnell aufzufassen – vornehmen zu kцnnen, und er bitte ihn, wenn ihm die Stunde gelegen sei, in zwei Stunden, etwa um zehn Uhr, sich im Dom einzufinden. Er selbst hoffe, um diese Zeit schon bestimmt dort sein zu kцnnen. K. antwortete einiges Entsprechende, der Italiener drьckte zuerst dem Direktor, dann K., dann nochmals dem Direktor die Hand und ging, von beiden gefolgt, nur noch halb ihnen zugewendet, im Reden aber noch immer nicht aussetzend, zur Tьr. K. blieb dann noch ein Weilchen mit dem Direktor beisammen, der heute besonders leidend aussah. Er glaubte, sich bei K. irgendwie entschuldigen zu mьssen und sagte – sie standen vertraulich nahe beisammen –, zuerst hдtte er beabsichtigt, selbst mit dem Italiener zu gehen, dann aber – er gab keinen nдheren Grund an – habe er sich entschlossen, lieber K. zu schicken. Wenn er den Italiener nicht gleich im Anfang verstehe, so mьsse er sich dadurch nicht verblьffen lassen, das Verstдndnis komme sehr rasch, und wenn er auch viel ьberhaupt nicht verstehen sollte, so sei es auch nicht so schlimm, denn fьr den Italiener sei es nicht gar so wichtig, verstanden zu werden. Ьbrigens sei K.s Italienisch ьberraschend gut, und er werde sich gewiЯ ausgezeichnet mit der Sache abfinden. Damit war K. verabschiedet. Die Zeit, die ihm noch freiblieb, verbrachte er damit, seltene Vokabeln, die er zur Fьhrung im Dom benцtigte, aus dem Wцrterbuch herauszuschreiben. Es war eine дuЯerst lдstige Arbeit, Diener brachten die Post, Beamte kamen mit verschiedenen Anfragen und blieben, da sie K. beschдftigt sahen, bei der Tьr stehen, rьhrten sich aber nicht weg, bevor sie K. angehцrt hatte, der Direktor-Stellvertreter lieЯ es sich nicht entgehen, K. zu stцren, kam цfters herein, nahm ihm das Wцrterbuch aus der Hand und blдtterte offenbar ganz sinnlos darin, selbst Parteien tauchten, wenn sich die Tьr цffnete, im Halbdunkel des Vorzimmers auf und verbeugten sich zцgernd – sie wollten auf sich aufmerksam machen, waren aber dessen nicht sicher, ob sie gesehen wurden –, das alles bewegte sich um K. als um seinen Mittelpunkt, wдhrend er selbst die Wцrter, die er brauchte, zusammenstellte, dann im Wцrterbuch suchte, dann herausschrieb, dann ihre Aussprache ьbte und schlieЯlich auswendig zu lernen versuchte. Sein frьheres gutes Gedдchtnis schien ihn aber ganz verlassen zu haben, manchmal wurde er auf den Italiener, der ihm diese Anstrengung verursachte, so wьtend, daЯ er das Wцrterbuch unter Papieren vergrub, mit der festen Absicht, sich nicht mehr vorzubereiten, dann aber sah er ein, daЯ er doch nicht stumm mit dem Italiener vor den Kunstwerken im Dom auf und ab gehen kцnne, und er zog mit noch grцЯerer Wut das Wцrterbuch wieder hervor.
Gerade um halb zehn Uhr, als er weggehen wollte, erfolgte ein telephonischer Anruf. Leni wьnschte ihm guten Morgen und fragte nach seinem Befinden, K. dankte eilig und bemerkte, er kцnne sich jetzt unmцglich in ein Gesprдch einlassen, denn er mьsse in den Dom. »In den Dom?« fragte Leni. »Nun ja, in den Dom.« »Warum denn in den Dom?« sagte Leni. K. suchte es ihr in Kьrze zu erklдren, aber kaum hatte er damit angefangen, sagte Leni plцtzlich: »Sie hetzen dich.« Bedauern, das er nicht herausgefordert und nicht erwartet hatte, vertrug K. nicht, er verabschiedete sich mit zwei Worten, sagte aber doch, wдhrend er den Hцrer an seinen Platz hдngte, halb zu sich, halb zu dem fernen Mдdchen, das es nicht mehr hцrte: »Ja, sie hetzen mich.«
Nun war es aber schon spдt, es bestand schon fast die Gefahr, daЯ er nicht rechtzeitig ankam. Im Automobil fuhr er hin, im letzten Augenblick hatte er sich noch an das Album erinnert, das er frьh zu ьbergeben keine Gelegenheit gefunden hatte und das er deshalb jetzt mitnahm. Er hielt es auf seinen Knien und trommelte darauf unruhig wдhrend der ganzen Fahrt. Der Regen war schwдcher geworden, aber es war feucht, kьhl und dunkel, man wьrde im Dom wenig sehen, wohl aber wьrde sich dort, infolge des langen Stehens auf den kalten Fliesen, K.s Verkьhlung sehr verschlimmern. Der Domplatz war ganz leer, K. erinnerte sich, daЯ es ihm schon als kleinem Kind aufgefallen war, daЯ in den Hдusern dieses engen Platzes immer fast alle Fenstervorhдnge herabgelassen waren. Bei dem heutigen Wetter war es allerdings verstдndlicher als sonst. Auch im Dom schien es leer zu sein, es fiel natьrlich niemandem ein, jetzt hierherzukommen. K. durchlief beide Seitenschiffe, er traf nur ein altes Weib, das, eingehьllt in ein warmes Tuch, vor einem Marienbild kniete und es anblickte. Von weitem sah er dann noch einen hinkenden Diener in einer Mauertьr verschwinden. K. war pьnktlich gekommen, gerade bei seinem Eintritt hatte es zehn geschlagen, der Italiener war aber noch nicht hier. K. ging zum Haupteingang zurьck, stand dort eine Zeitlang unentschlossen und machte dann im Regen einen Rundgang um den Dom, um nachzusehen, ob der Italiener nicht vielleicht bei irgendeinem Seiteneingang warte. Er war nirgends zu finden. Sollte der Direktor etwa die Zeitangabe miЯverstanden haben? Wie konnte man auch diesen Menschen richtig verstehen? Wie es aber auch sein mochte, jedenfalls muЯte K. zumindest eine halbe Stunde auf ihn warten. Da er mьde war, wollte er sich setzen, er ging wieder in den Dom, fand auf einer Stufe einen kleinen, teppichartigen Fetzen, zog ihn mit der FuЯspitze vor eine nahe Bank, wickelte sich fester in seinen Mantel, schlug den Kragen in die Hцhe und setzte sich. Um sich zu zerstreuen, schlug er das Album auf, blдtterte darin ein wenig, muЯte aber bald aufhцren, denn es wurde so dunkel, daЯ er, als er aufblickte, in dem nahen Seitenschiff kaum eine Einzelheit unterscheiden konnte. In der Ferne funkelte auf dem Hauptaltar ein groЯes Dreieck von Kerzenlichtern, K. hдtte nicht mit Bestimmtheit sagen kцnnen, ob er sie schon frьher gesehen hatte. Vielleicht waren sie erst jetzt angezьndet worden. Die Kirchendiener sind berufsmдЯige Schleicher, man bemerkt sie nicht. Als sich K. zufдllig umdrehte, sah er nicht weit hinter sich eine hohe, starke, an einer Sдule befestigte Kerze gleichfalls brennen. So schцn das war, zur Beleuchtung der Altarbilder, die meistens in der Finsternis der Seitenaltдre hingen, war das gдnzlich unzureichend, es vermehrte vielmehr die Finsternis. Es war vom Italiener ebenso vernьnftig als unhцflich gehandelt, daЯ er nicht gekommen war, es wдre nichts zu sehen gewesen, man hдtte sich damit begnьgen mьssen, mit K.s elektrischer Taschenlampe einige Bilder zollweise abzusuchen. Um zu versuchen, was man davon erwarten kцnnte, ging K. zu einer nahen Seitenkapelle, stieg ein paar Stufen bis zu einer niedrigen Marmorbrьstung und, ьber sie vorgebeugt, beleuchtete er mit der Lampe das Altarbild. Stцrend schwebte das ewige Licht davor. Das erste, was K. sah und zum Teil erriet, war ein groЯer, gepanzerter Ritter, der am дuЯersten Rande des Bildes dargestellt war. Er stьtzte sich auf sein Schwert, das er in den kahlen Boden vor sich – nur einige Grashalme kamen hie und da hervor – gestoЯen hatte. Er schien aufmerksam einen Vorgang zu beobachten, der sich vor ihm abspielte. Es war erstaunlich, daЯ er so stehenblieb und sich nicht nдherte. Vielleicht war er dazu bestimmt, Wache zu stehen. K., der schon lange keine Bilder gesehen hatte, betrachtete den Ritter lдngere Zeit, obwohl er immerfort mit den Augen zwinkern muЯte, da er das grьne Licht der Lampe nicht vertrug. Als er dann das Licht ьber den ьbrigen Teil des Bildes streichen lieЯ, fand er eine Grablegung Christi in gewцhnlicher Auffassung, es war ьbrigens ein neueres Bild. Er steckte die Lampe ein und kehrte wieder zu seinem Platz zurьck.
Es war nun schon wahrscheinlich unnцtig, auf den Italiener zu warten, drauЯen war aber gewiЯ strцmender Regen, und da es hier nicht so kalt war, wie K. erwartet hatte, beschloЯ er, vorlдufig hierzubleiben. In seiner Nachbarschaft war die groЯe Kanzel, auf ihrem kleinen, runden Dach waren halb liegend zwei leere, goldene Kreuze angebracht, die einander mit ihrer дuЯersten Spitze ьberquerten. Die AuЯenwand der Brьstung und der Ьbergang zur tragenden Sдule war von grьnem Laubwerk gebildet, in das kleine Engel griffen, bald lebhaft, bald ruhend. K. trat vor die Kanzel und untersuchte sie von allen Seiten, die Bearbeitung des Steines war ьberaus sorgfдltig, das tiefe Dunkel zwischen dem Laubwerk und hinter ihm schien wie eingefangen und festgehalten, K. legte seine Hand in eine solche Lьcke und tastete dann den Stein vorsichtig ab, von dem Dasein dieser Kanzel hatte er bisher gar nicht gewuЯt. Da bemerkte er zufдllig hinter der nдchsten Bankreihe einen Kirchendiener, der dort in einem hдngenden, faltigen, schwarzen Rock stand, in der linken Hand eine Schnupftabakdose hielt und ihn betrachtete. Was will denn der Mann? dachte K. Bin ich ihm verdдchtig? Will er ein Trinkgeld? Als sich aber nun der Kirchendiener von K. bemerkt sah, zeigte er mit der Rechten, zwischen zwei Fingern hielt er noch eine Prise Tabak, in irgendeiner unbestimmten Richtung. Sein Benehmen war fast unverstдndlich, K. wartete noch ein Weilchen, aber der Kirchendiener hцrte nicht auf, mit der Hand etwas zu zeigen und bekrдftigte es noch durch Kopfnicken. »Was will er denn?« fragte K. leise, er wagte es nicht, hier zu rufen; dann aber zog er die Geldtasche und drдngte sich durch die nдchste Bank, um zu dem Mann zu kommen. Doch dieser machte sofort eine abwehrende Bewegung mit der Hand, zuckte die Schultern und hinkte davon. Mit einer дhnlichen Gangart, wie es dieses eilige Hinken war, hatte K. als Kind das Reiten auf Pferden nachzuahmen versucht. »Ein kindischer Alter«, dachte K., »sein Verstand reicht nur noch zum Kirchendienst aus. Wie er stehenbleibt, wenn ich stehe, und wie er lauert, ob ich weitergehen will.« Lдchelnd folgte K. dem Alten durch das ganze Seitenschiff fast bis zur Hцhe des Hauptaltars, der Alte hцrte nicht auf, etwas zu zeigen, aber K. drehte sich absichtlich nicht um, das Zeigen hatte keinen anderen Zweck, als ihn von der Spur des Alten abzubringen. SchlieЯlich lieЯ er wirklich von ihm, er wollte ihn nicht zu sehr дngstigen, auch wollte er die Erscheinung, fьr den Fall, daЯ der Italiener doch noch kommen sollte, nicht ganz verscheuchen.
Als er in das Hauptschiff trat, um seinen Platz zu suchen, auf dem er das Album liegengelassen hatte, bemerkte er an einer Sдule, fast angrenzend an die Bдnke des Altarchors, eine kleine Nebenkanzel, ganz einfach, aus kahlem, bleichem Stein. Sie war so klein, daЯ sie aus der Ferne wie eine noch leere Nische erschien, die fьr die Aufnahme einer Heiligenstatue bestimmt war. Der Prediger konnte gewiЯ keinen vollen Schritt von der Brьstung zurьcktreten. AuЯerdem begann die steinerne Einwцlbung der Kanzel ungewцhnlich tief und stieg, zwar ohne jeden Schmuck, aber derartig geschweift in die Hцhe, daЯ ein mittelgroЯer Mann dort nicht aufrecht stehen konnte, sondern sich dauernd ьber die Brьstung vorbeugen muЯte. Das Ganze war wie zur Qual des Predigers bestimmt, es war unverstдndlich, wozu man diese Kanzel benцtigte, da man doch die andere, groЯe und so kunstvoll geschmьckte zur Verfьgung hatte.
K. wдre auch diese kleine Kanzel gewiЯ nicht aufgefallen, wenn nicht oben eine Lampe befestigt gewesen wдre, wie man sie kurz vor einer Predigt bereitzustellen pflegt. Sollte jetzt etwa eine Predigt stattfinden? In der leeren Kirche? K. sah an der Treppe hinab, die an die Sдule sich anschmiegend zur Kanzel fьhrte und so schmal war, als sollte sie nicht fьr Menschen, sondern nur zum Schmuck der Sдule dienen. Aber unten an der Kanzel, K. lдchelte vor Staunen, stand wirklich der Geistliche, hielt die Hand am Gelдnder, bereit aufzusteigen, und sah auf K. hin. Dann nickte er ganz leicht mit dem Kopf, worauf K. sich bekreuzigte und verbeugte, was er schon frьher hдtte tun sollen. Der Geistliche gab sich einen kleinen Aufschwung und stieg mit kurzen, schnellen Schritten die Kanzel hinauf. Sollte wirklich eine Predigt beginnen? War vielleicht der Kirchendiener doch nicht so ganz vom Verstand verlassen und hatte K. dem Prediger zutreiben wollen, was allerdings in der leeren Kirche дuЯerst notwendig gewesen war?
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16