А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

Lassen Sie sich lieber nicht dazu verfьhren. Wer die groЯen Advokaten sind, weiЯ ich nicht, und zu ihnen kommen kann man wohl gar nicht. Ich kenne keinen Fall, von dem sich mit Bestimmtheit sagen lieЯe, daЯ sie eingegriffen hдtten. Manchen verteidigen sie, aber durch eigenen Willen kann man das nicht erreichen, sie verteidigen nur den, den sie verteidigen wollen. Die Sache, deren sie sich annehmen, muЯ aber wohl ьber das niedrige Gericht schon hinausgekommen sein. Im ьbrigen ist es besser, nicht an sie zu denken, denn sonst kommen einem die Besprechungen mit den anderen Advokaten, deren Ratschlдge und deren Hilfeleistungen so widerlich und nutzlos vor, ich habe es selbst erfahren, daЯ man am liebsten alles wegwerfen, sich zu Hause ins Bett legen und von nichts mehr hцren wollte. Das wдre aber natьrlich wieder das Dьmmste, auch hдtte man im Bett nicht lange Ruhe.« »Sie dachten damals also nicht an die groЯen Advokaten?« fragte K. »Nicht lange«, sagte der Kaufmann und lдchelte wieder, »vollstдndig vergessen kann man sie leider nicht, besonders die Nacht ist solchen Gedanken gьnstig. Aber damals wollte ich ja sofortige Erfolge, ich ging daher zu den Winkeladvokaten.«
»Wie ihr hier beieinander sitzt!« rief Leni, die mit der Tasse zurьckgekommen war und in der Tьr stehenblieb. Sie saЯen wirklich eng beisammen, bei der kleinsten Wendung muЯten sie mit den Kцpfen aneinanderstoЯen, der Kaufmann, der, abgesehen von seiner Kleinheit, auch noch den Rьcken gekrьmmt hielt, hatte K. gezwungen, sich auch tief zu bьcken, wenn er alles hцren wollte. »Noch ein Weilchen!« rief K. Leni abwehrend zu und zuckte ungeduldig mit der Hand, die er noch immer auf des Kaufmanns Hand liegen hatte. »Er wollte, daЯ ich ihm von meinem ProzeЯ erzдhle«, sagte der Kaufmann zu Leni. »Erzдhle nur, erzдhle«, sagte diese. Sie sprach mit dem Kaufmann liebevoll, aber doch auch herablassend, K. gefiel das nicht; wie er jetzt erkannt hatte, hatte der Mann doch einen gewissen Wert, zumindest hatte er Erfahrungen, die er gut mitzuteilen verstand. Leni beurteilte ihn wahrscheinlich unrichtig. Er sah дrgerlich zu, als Leni jetzt dem Kaufmann die Kerze, die er die ganze Zeit ьber festgehalten hatte, abnahm, ihm die Hand mit ihrer Schьrze abwischte und dann neben ihm niederkniete, um etwas Wachs wegzukratzen, das von der Kerze auf seine Hose getropft war. »Sie wollten mir von den Winkeladvokaten erzдhlen«, sagte K. und schob, ohne eine weitere Bemerkung, Lenis Hand weg. »Was willst du denn?« fragte Leni, schlug leicht nach K. und setzte ihr Arbeit fort. »Ja, von den Winkeladvokaten«, sagte der Kaufmann und fuhr sich ьber die Stirn, als denke er nach. K. wollte ihm nachhelfen und sagte: »Sie wollten sofortige Erfolge haben und gingen deshalb zu den Winkeladvokaten.« »Ganz richtig«, sagte der Kaufmann, setzte aber nicht fort. »Er will vielleicht vor Leni nicht davon sprechen«, dachte K., bezwang seine Ungeduld, das Weitere gleich jetzt zu hцren, und drang nun nicht mehr weiter in ihn.
»Hast du mich angemeldet?« fragte er Leni. »Natьrlich«, sagte diese, »er wartet auf dich. LaЯ jetzt Block, mit Block kannst du auch spдter reden, er bleibt doch hier.« K. zцgerte noch. »Sie bleiben hier?« fragte er den Kaufmann, er wollte dessen eigene Antwort, er wollte nicht, daЯ Leni vom Kaufmann wie von einem Abwesenden sprach, er war heute gegen Leni voll geheimen Дrgers. Und wieder antwortete nur Leni: »Er schlдft hier цfters.« »Schlдft hier?« rief K., er hatte gedacht, der Kaufmann werde hier nur auf ihn warten, wдhrend er die Unterredung mit dem Advokaten rasch erledigen wьrde, dann aber wьrden sie gemeinsam fortgehen und alles grьndlich und ungestцrt besprechen. »Ja«, sagte Leni, »nicht jeder wird wie du, Josef, zu beliebiger Stunde beim Advokaten vorgelassen. Du scheinst dich ja gar nicht darьber zu wundern, daЯ dich der Advokat trotz seiner Krankheit noch um elf Uhr nachts empfдngt. Du nimmst das, was deine Freunde fьr dich tun, doch als gar zu selbstverstдndlich an. Nun, deine Freunde oder zumindest ich, tun es gerne. Ich will keinen anderen Dank und brauche auch keinen anderen, als daЯ du mich liebhast.« »Dich liebhaben?« dachte K. im ersten Augenblick, erst dann ging es ihm durch den Kopf: »Nun ja, ich habe sie lieb.« Trotzdem sagte er, alles andere vernachlдssigend: »Er empfдngt mich, weil ich sein Klient bin. Wenn auch dafьr noch fremde Hilfe nцtig wдre, mьЯte man bei jedem Schritt immer gleichzeitig betteln und danken.« »Wie schlimm er heute ist, nicht?« fragte Leni den Kaufmann. »Jetzt bin ich der Abwesende«, dachte K. und wurde fast sogar auf den Kaufmann bцse, als dieser, die Unhцflichkeit Lenis ьbernehmend, sagte: »Der Advokat empfдngt ihn auch noch aus anderen Grьnden. Sein Fall ist nдmlich interessanter als der meine. AuЯerdem aber ist sein ProzeЯ in den Anfдngen, also wahrscheinlich noch nicht sehr verfahren, da beschдftigt sich der Advokat noch gern mit ihm. Spдter wird das anders werden.« »Ja, ja«, sagte Leni und sah den Kaufmann lachend an, »wie er schwatzt! Ihm darfst du nдmlich«, hierbei wandte sie sich an K., »gar nichts glauben. So lieb er ist, so geschwдtzig ist er. Vielleicht mag ihn der Advokat auch deshalb nicht leiden, Jedenfalls empfдngt er ihn nur, wenn er in Laune ist. Ich habe mir schon viel Mьhe gegeben, das zu дndern, aber es ist unmцglich. Denke nur, manchmal melde ich Block an, er empfдngt ihn aber erst am dritten Tag nachher. Ist Block aber zu der Zeit, wenn er vorgerufen wird, nicht zur Stelle, so ist alles verloren und er muЯ von neuem angemeldet werden. Deshalb habe ich Block erlaubt, hier zu schlafen, es ist ja schon vorgekommen, daЯ er in der Nacht um ihn gelдutet hat. Jetzt ist also Block auch in der Nacht bereit. Allerdings geschieht es jetzt wieder, daЯ der Advokat, wenn es sich zeigt, daЯ Block da ist, seinen Auftrag, ihn vorzulassen, manchmal widerruft.« K. sah fragend zum Kaufmann hin. Dieser nickte und sagte, so offen wie er frьher mit K. gesprochen hatte, vielleicht war er zerstreut vor Beschдmung: »Ja, man wird spдter sehr abhдngig von seinem Advokaten.« »Er klagt ja nur zum Schein«, sagte Leni. »Er schlдft ja hier sehr gern, wie er mir schon oft gestanden hat.« Sie ging zu einer kleinen Tьr und stieЯ sie auf. »Willst du sein Schlafzimmer sehen?« fragte sie. K. ging hin und sah von der Schwelle aus in den niedrigen fensterlosen Raum, der von einem schmalen Bett vollstдndig ausgefьllt war. In dieses Bett muЯte man ьber den Bettpfosten steigen. Am Kopfende des Bettes war eine Vertiefung in der Mauer, dort standen, peinlich geordnet, eine Kerze, TintenfaЯ und Feder sowie ein Bьndel Papiere, wahrscheinlich ProzeЯschriften. »Sie schlafen im Dienstmдdchenzimmer?« fragte K. und wendete sich zum Kaufmann zurьck. »Leni hat es mir eingerдumt«, antwortete der Kaufmann, »es ist sehr vorteilhaft.« K. sah ihn lange an; der erste Eindruck, den er von dem Kaufmann erhalten hatte, war vielleicht doch der richtige gewesen; Erfahrungen hatte er, denn sein ProzeЯ dauerte schon lange, aber er hatte diese Erfahrungen teuer bezahlt. Plцtzlich ertrug K. den Anblick des Kaufmanns nicht mehr. »Bring ihn doch ins Bett!« rief er Leni zu, die ihn gar nicht zu verstehen schien. Er selbst aber wollte zum Advokaten gehen und durch die Kьndigung sich nicht nur vom Advokaten, sondern auch von Leni und dem Kaufmann befreien. Aber noch ehe er zur Tьr gekommen war, sprach ihn der Kaufmann mit leiser Stimme an: »Herr Prokurist«, K. wandte sich mit bцsem Gesicht um. »Sie haben Ihr Versprechen vergessen«, sagte der Kaufmann und streckte sich von seinem Sitz aus bittend K. entgegen. »Sie wollten mir noch ein Geheimnis sagen.« »Wahrhaftig«, sagte K. und streifte auch Leni, die ihn aufmerksam ansah, mit einem Blick, »also hцren Sie: es ist allerdings fast kein Geheimnis mehr. Ich gehe jetzt zum Advokaten, um ihn zu entlassen.« »Er entlдЯt ihn!« rief der Kaufmann, sprang vom Sessel und lief mit erhobenen Armen in der Kьche umher. Immer wieder rief er: »Er entlдЯt den Advokaten!« Leni wollte gleich auf K. losfahren, aber der Kaufmann kam ihr in den Weg, wofьr sie ihm mit den Fдusten einen Hieb gab. Noch mit den zu Fдusten geballten Hдnden lief sie dann hinter K., der aber einen groЯen Vorsprung hatte. Er war schon in das Zimmer des Advokaten eingetreten, als ihn Leni einholte. Die Tьr hatte er hinter sich fast geschlossen, aber Leni, die mit dem FuЯ den Tьrflьgel offenhielt, faЯte ihn beim Arm und wollte ihn zurьckziehen. Aber er drьckte ihr Handgelenk so stark, daЯ sie unter einem Seufzer ihn loslassen muЯte. Ins Zimmer einzutreten, wagte sie nicht gleich, K. aber versperrte die Tьr mit dem Schlьssel.
»Ich warte schon sehr lange auf Sie«, sagte der Advokat vom Bett aus, legte ein Schriftstьck, das er beim Licht einer Kerze gelesen hatte, auf das Nachttischchen und setzte sich eine Brille auf, mit der er K. scharf ansah. Statt sich zu entschuldigen, sagte K.: »Ich gehe bald wieder weg.« Der Advokat hatte K.s Bemerkung, weil sie keine Entschuldigung war, unbeachtet gelassen und sagte: »Ich werde Sie nдchstens zu dieser spдten Stunde nicht mehr vorlassen.« »Das kommt meinem Anliegen entgegen«, sagte K. Der Advokat sah ihn fragend an. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Weil Sie es wьnschen«, sagte K., zog einen Sessel zum Nachttischchen und setzte sich. »Es schien mir, daЯ Sie die Tьr abgesperrt haben«, sagte der Advokat. »Ja«, sagte K., »es war Lenis wegen.« Er hatte nicht die Absicht, irgend jemanden zu schonen. Aber der Advokat fragte: »War sie wieder zudringlich?« »Zudringlich?« fragte K. »Ja«, sagte der Advokat, er lachte dabei, bekam einen Hustenanfall und begann, nachdem dieser vergangen war, wieder zu lachen. »Sie haben doch wohl ihre Zudringlichkeit schon bemerkt?« fragte er und klopfte K. auf die Hand, die dieser zerstreut auf das Nachttischchen gestьtzt hatte und die er jetzt rasch zurьckzog. »Sie legen dem nicht viel Bedeutung bei«, sagte der Advokat, als K. schwieg, »desto besser. Sonst hдtte ich mich vielleicht bei Ihnen entschuldigen mьssen. Es ist eine Sonderbarkeit Lenis, die ich ihr ьbrigens lдngst verziehen habe und von der ich auch nicht reden wьrde, wenn Sie nicht eben jetzt die Tьr abgesperrt hдtten. Diese Sonderbarkeit, Ihnen allerdings mьЯte ich sie wohl am wenigsten erklдren, aber Sie sehen mich so bestьrzt an und deshalb tue ich es, diese Sonderbarkeit besteht darin, daЯ Leni die meisten Angeklagten schцn findet. Sie hдngt sich an alle, liebt alle, scheint allerdings auch von allen geliebt zu werden; um mich zu unterhalten, erzдhlt sie mir dann, wenn ich es erlaube, manchmal davon. Ich bin ьber das Ganze nicht so erstaunt, wie Sie es zu sein scheinen. Wenn man den richtigen Blick dafьr hat, findet man die Angeklagten wirklich oft schцn. Das allerdings ist eine merkwьrdige, gewissermaЯen naturwissenschaftliche Erscheinung. Es tritt natьrlich als Folge der Anklage nicht etwa eine deutliche, genau zu bestimmende Verдnderung des Aussehens ein. Es ist doch nicht wie bei anderen Gerichtssachen, die meisten bleiben in ihrer gewцhnlichen Lebensweise und werden, wenn sie einen guten Advokaten haben, der fьr sie sorgt, durch den ProzeЯ nicht behindert. Trotzdem sind diejenigen, welche darin Erfahrung haben, imstande, aus der grцЯten Menge die Angeklagten, Mann fьr Mann, zu erkennen. Woran? werden Sie fragen. Meine Antwort wird Sie nicht befriedigen. Die Angeklagten sind eben die Schцnsten. Es kann nicht die Schuld sein, die sie schцn macht, denn – so muЯ wenigstens ich als Advokat sprechen – es sind doch nicht alle schuldig, es kann auch nicht die richtige Strafe sein, die sie jetzt schon schцn macht, denn es werden doch nicht alle bestraft, es kann also nur an dem gegen sie erhobenen Verfahren liegen, das ihnen irgendwie anhaftet. Allerdings gibt es unter den Schцnen auch besonders schцne. Schцn sind aber alle, selbst Block, dieser elende Wurm.«
K. war, als der Advokat geendet hatte, vollstдndig gefaЯt, er hatte sogar zu den letzten Worten auffallend genickt und sich so selbst die Bestдtigung seiner alten Ansicht gegeben, nach welcher der Advokat ihn immer und so auch diesmal durch allgemeine Mitteilungen, die nicht zur Sache gehцrten, zu zerstreuen und von der Hauptfrage, was er an tatsдchlicher Arbeit fьr K.s Sache getan hatte, abzulenken suchte. Der Advokat merkte wohl, daЯ ihm K. diesmal mehr Widerstand leistete als sonst, denn er verstummte jetzt, um K. die Mцglichkeit zu geben, selbst zu sprechen, und fragte dann, da K. stumm blieb: »Sind Sie heute mit einer bestimmten Absicht zu mir gekommen?« »Ja«, sagte K. und blendete mit der Hand ein wenig die Kerze ab, um den Advokaten besser zu sehen, »ich wollte Ihnen sagen, daЯ ich Ihnen mit dem heutigen Tage meine Vertretung entziehe.« »Verstehe ich Sie recht?« fragte der Advokat, erhob sich halb im Bett und stьtzte sich mit einer Hand auf die Kissen. »Ich nehme es an«, sagte K., der straff aufgerichtet, wie auf der Lauer, dasaЯ. »Nun, wir kцnnen ja auch diesen Plan besprechen«, sagte der Advokat nach einem Weilchen. »Es ist kein Plan mehr«, sagte K. »Mag sein«, sagte der Advokat, »wir wollen aber trotzdem nichts ьbereilen.« Er gebrauchte das Wort »wir«, als habe er nicht die Absicht, K. freizulassen, und als wolle er, wenn er schon nicht sein Vertreter sein dьrfte, wenigstens sein Berater bleiben. »Es ist nicht ьbereilt«, sagte K., stand langsam auf und trat hinter seinen Sessel, »es ist gut ьberlegt und vielleicht sogar zu lange. Der EntschluЯ ist endgьltig.« »Dann erlauben Sie mir nur noch einige Worte«, sagte der Advokat, hob das Federbett weg und setzte sich auf den Bettrand. Seine nackten, weiЯhaarigen Beine zitterten vor Kдlte. Er bat K., ihm vom Kanapee eine Decke zu reichen. K. holte die Decke und sagte: »Sie setzten sich ganz unnцtig einer Verkьhlung aus.« »Der AnlaЯ ist wichtig genug«, sagte der Advokat, wдhrend er mit dem Federbett den Oberkцrper umhьllte und dann die Beine in die Decke einwickelte. »Ihr Onkel ist mein Freund, und auch Sie sind mir im Laufe der Zeit lieb geworden. Ich gestehe das offen ein. Ich brauche mich dessen nicht zu schдmen.« Diese rьhrseligen Reden des alten Mannes waren K. sehr unwillkommen, denn sie zwangen ihn zu einer ausfьhrlicheren Erklдrung, die er gern vermieden hдtte, und sie beirrten ihn auЯerdem, wie er sich offen eingestand, wenn sie allerdings auch seinen EntschluЯ niemals rьckgдngig machen konnten. »Ich danke Ihnen fьr Ihre freundliche Gesinnung«, sagte er, »ich erkenne auch an, daЯ Sie sich meiner Sache so sehr angenommen haben, wie es Ihnen mцglich ist und wie es Ihnen fьr mich vorteilhaft scheint. Ich jedoch habe in der letzten Zeit die Ьberzeugung gewonnen, daЯ das nicht genьgend ist. Ich werde natьrlich niemals versuchen, Sie, einen soviel дlteren und erfahreneren Mann, von meiner Ansicht ьberzeugen zu wollen; wenn ich es manchmal unwillkьrlich versucht habe, so verzeihen Sie mir, die Sache aber ist, wie Sie sich selbst ausdrьckten, wichtig genug, und es ist meiner Ьberzeugung nach notwendig, viel krдftiger in den ProzeЯ einzugreifen, als es bisher geschehen ist.« »Ich verstehe Sie«, sagte der Advokat, »Sie sind ungeduldig.« »Ich bin nicht ungeduldig«, sagte K. ein wenig gereizt und achtete nicht mehr soviel auf seine Worte. »Sie dьrften bei meinem ersten Besuch, als ich mit meinem Onkel zu Ihnen kam, bemerkt haben, daЯ mir an dem ProzeЯ nicht viel lag, wenn man mich nicht gewissermaЯen gewaltsam an ihn erinnerte, vergaЯ ich ihn vollstдndig. Aber mein Onkel bestand darauf, daЯ ich Ihnen meine Vertretung ьbergebe, ich tat es, um ihm gefдllig zu sein. Und nun hдtte man doch erwarten sollen, daЯ mir der ProzeЯ noch leichter fallen wьrde als bis dahin, denn man ьbergibt doch dem Advokaten die Vertretung, um die Last des Prozesses ein wenig von sich abzuwдlzen. Es geschah aber das Gegenteil. Niemals frьher hatte ich so groЯe Sorgen wegen des Prozesses wie seit der Zeit, seitdem Sie mich vertreten. Als ich allein war, unternahm ich nichts in meiner Sache, aber ich fьhlte es kaum, jetzt dagegen hatte ich einen Vertreter, alles war dafьr eingerichtet, daЯ etwas geschehe, unaufhцrlich und immer gespannter erwartete ich Ihr Eingreifen, aber es blieb aus. Ich bekam von Ihnen allerdings verschiedene Mitteilungen ьber das Gericht, die ich vielleicht von niemandem sonst hдtte bekommen kцnnen. Aber das kann mir nicht genьgen, wenn mir jetzt der ProzeЯ, fцrmlich im geheimen, immer nдher an den Leib rьckt.« K. hatte den Sessel von sich gestoЯen und stand, die Hдnde in den Rocktaschen, aufrecht da. »Von einem gewissen Zeitpunkt der Praxis an«, sagte der Advokat leise und ruhig, »ereignet sich nichts wesentlich Neues mehr. Wie viele Parteien sind in дhnlichen Stadien der Prozesse дhnlich wie Sie vor mir gestanden und haben дhnlich gesprochen!« »Dann haben«, sagte K., »alle diese дhnlichen Parteien ebenso recht gehabt wie ich. Das widerlegt mich gar nicht.« »Ich wollte Sie damit nicht widerlegen«, sagte der Advokat, »ich wollte aber noch hinzufьgen, daЯ ich bei Ihnen mehr Urteilskraft erwartet hдtte als bei den anderen, besonders da ich Ihnen mehr Einblick in das Gerichtswesen und in meine Tдtigkeit gegeben habe, als ich es sonst Parteien gegenьber tue. Und nun muЯ ich sehen, daЯ Sie trotz allem nicht genьgend Vertrauen zu mir haben. Sie machen es mir nicht leicht.« Wie sich der Advokat vor K. demьtigte! Ohne jede Rьcksicht auf die Standesehre, die gewiЯ gerade in diesem Punkte am empfindlichsten ist. Und warum tat er das? Er war doch dem Anschein nach ein vielbeschдftigter Advokat und ьberdies ein reicher Mann, es konnte ihm an und fьr sich weder an dem Verdienstentgang noch an dem Verlust eines Klienten viel liegen. AuЯerdem war er krдnklich und hдtte selbst darauf bedacht sein sollen, daЯ ihm Arbeit abgenommen werde. Und trotzdem hielt er K. so fest! Warum? War es persцnliche Anteilnahme fьr den Onkel oder sah er K.s ProzeЯ wirklich fьr so auЯerordentlich an und hoffte, sich darin auszuzeichnen, entweder fьr K. oder – diese Mцglichkeit war eben niemals auszuschlieЯen – fьr die Freunde beim Gericht? An ihm selbst war nichts zu erkennen, so rьcksichtslos ihn auch K. ansah. Man hдtte fast annehmen kцnnen, er warte mit absichtlich verschlossener Miene die Wirkung seiner Worte ab. Aber er deutete offenbar das Schweigen K.s fьr sich allzu gьnstig, wenn er jetzt fortfuhr: »Sie werden bemerkt haben, daЯ ich zwar eine groЯe Kanzlei habe, aber keine Hilfskrдfte beschдftige. Das war frьher anders, es gab eine Zeit, wo einige junge Juristen fьr mich arbeiteten, heute arbeite ich allein. Es hдngt dies zum Teil mit der Дnderung meiner Praxis zusammen, indem ich mich immer mehr auf Rechtssachen von der Art der Ihrigen beschrдnke, zum Teil mit der immer tieferen Erkenntnis, die ich von diesen Rechtssachen erhielt. Ich fand, daЯ ich diese Arbeit niemandem ьberlassen dьrfe, wenn ich mich nicht an meinen Klienten und an der Aufgabe, die ich ьbernommen hatte, versьndigen wollte. Der EntschluЯ aber, alle Arbeit selbst zu leisten, hatte die natьrlichen Folgen: ich muЯte fast alle Ansuchen um Vertretungen abweisen und konnte nur denen nachgeben, die mir besonders nahegingen – nun, es gibt ja genug Kreaturen, und sogar ganz in der Nдhe, die sich auf jeden Brocken stьrzen, den ich wegwerfe. Und auЯerdem wurde ich vor Ьberanstrengung krank. Aber trotzdem bereue ich meinen EntschluЯ nicht, es ist mцglich, daЯ ich mehr Vertretungen hдtte abweisen sollen, als ich getan habe, daЯ ich aber den ьbernommenen Prozessen mich ganz hingegeben habe, hat sich als unbedingt notwendig herausgestellt und durch die Erfolge belohnt. Ich habe einmal in einer Schrift den Unterschied sehr schцn ausgedrьckt gefunden, der zwischen der Vertretung in gewцhnlichen Rechtssachen und der Vertretung in diesen Rechtssachen besteht. Es hieЯ dort: der Advokat fьhrt seinen Klienten an einem Zwirnsfaden bis zum Urteil, der andere aber hebt seinen Klienten gleich auf die Schultern und trдgt ihn, ohne ihn abzusetzen, zum Urteil und noch darьber hinaus. So ist es. Aber es war nicht ganz richtig, wenn ich sagte, daЯ ich diese groЯe Arbeit niemals bereue. Wenn sie, wie in Ihrem Fall, so vollstдndig verkannt wird, dann, nun dann bereue ich fast.« K. wurde durch diese Reden mehr ungeduldig als ьberzeugt. Er glaubte irgendwie aus dem Tonfall des Advokaten herauszuhцren, was ihn erwartete, wenn er nachgдbe, wieder wьrden Vertrцstungen beginnen, die Hinweise auf die fortschreitende Eingabe, auf die gebesserte Stimmung der Gerichtsbeamten, aber auch auf die groЯen Schwierigkeiten, die sich der Arbeit entgegenstellten, – kurz, all das bis zum ЬberdruЯ Bekannte wьrde hervorgeholt werden, um K. wieder mit unbestimmten Hoffnungen zu tдuschen und mit unbestimmten Drohungen zu quдlen. Das muЯte endgьltig verhindert werden, er sagte deshalb: »Was wollen Sie in meiner Sache unternehmen, wenn Sie die Vertretung behalten?« Der Advokat fьgte sich sogar dieser beleidigenden Frage und antwortete: »In dem, was ich fьr Sie bereits unternommen habe, weiter fortfahren.« »Ich wuЯte es ja«, sagte K., »nun ist aber jedes weitere Wort ьberflьssig.« »Ich werde noch einen Versuch machen«, sagte der Advokat, als geschehe das, was K. erregte, nicht K., sondern ihm. »Ich habe nдmlich die Vermutung, daЯ Sie nicht nur zu der falschen Beurteilung meines Rechtsbeistandes, sondern auch zu Ihrem sonstigen Verhalten dadurch verleitet werden, daЯ man Sie, obwohl Sie Angeklagter sind, zu gut behandelt oder, richtiger ausgedrьckt, nachlдssig, scheinbar nachlдssig behandelt. Auch dieses letztere hat seinen Grund; es ist oft besser, in Ketten, als frei zu sein. Aber ich mцchte Ihnen doch zeigen, wie andere Angeklagte behandelt werden, vielleicht gelingt es Ihnen, daraus eine Lehre zu nehmen. Ich werde jetzt nдmlich Block vorrufen, sperren Sie die Tьr auf und setzen Sie sich hier neben den Nachttisch!« »Gerne«, sagte K. und tat, was der Advokat verlangt hatte; zu lernen war er immer bereit. Um sich aber fьr jeden Fall zu sichern, fragte er noch: »Sie haben aber zur Kenntnis genommen, daЯ ich Ihnen meine Vertretung entziehe?« »Ja«, sagte der Advokat, »Sie kцnnen es aber heute noch rьckgдngig machen.« Er legte sich wieder ins Bett zurьck, zog das Federbett bis zum Kinn und drehte sich der Wand zu. Dann lдutete er.
Fast gleichzeitig mit dem Glockenzeichen erschien Leni, sie suchte durch rasche Blicke zu erfahren, was geschehen war; daЯ K. ruhig beim Bett des Advokaten saЯ, schien ihr beruhigend. Sie nickte K., der sie starr ansah, lдchelnd zu. »Hole Block«, sagte der Advokat. Statt ihn aber zu holen, trat sie nur vor die Tьr, rief: »Block! Zum Advokaten!« und schlьpfte dann, wahrscheinlich weil der Advokat zur Wand abgekehrt blieb und sich um nichts kьmmerte, hinter K.s Sessel. Sie stцrte ihn von nun ab, indem sie sich ьber die Sessellehne vorbeugte oder mit den Hдnden, allerdings sehr zart und vorsichtig, durch sein Haar fuhr und ьber seine Wangen strich. SchlieЯlich suchte K. sie daran zu hindern, indem er sie bei einer Hand erfaЯte, die sie ihm nach einigem Widerstreben ьberlieЯ.
Block war auf den Anruf hin gleich gekommen, blieb aber vor der Tьr stehen und schien zu ьberlegen, ob er eintreten sollte. Er zog die Augenbrauen hoch und neigte den Kopf, als horche er, ob sich der Befehl, zum Advokaten zu kommen, wiederholen wьrde. K. hдtte ihn zum Eintreten aufmuntern kцnnen, aber er hatte sich vorgenommen, nicht nur mit dem Advokaten, sondern mit allem, was hier in der Wohnung war, endgьltig zu brechen und verhielt sich deshalb regungslos. Auch Leni schwieg. Block bemerkte, daЯ ihn wenigstens niemand verjage und trat auf den FuЯspitzen ein, das Gesicht gespannt, die Hдnde auf dem Rьcken verkrampft. Die Tьr hatte er fьr einen mцglichen Rьckzug offen gelassen. K. blickte er gar nicht an, sondern immer nur das hohe Federbett, unter dem der Advokat, da er sich ganz nahe an die Wand geschoben hatte, nicht einmal zu sehen war. Da hцrte man aber seine Stimme: »Block hier?« fragte er. Diese Frage gab Block, der schon eine groЯe Strecke weitergerьckt war, fцrmlich einen StoЯ in die Brust und dann einen in den Rьcken, er taumelte, blieb tief gebьckt stehen und sagte: »Zu dienen.« »Was willst du?« fragte der Advokat, »du kommst ungelegen.« »Wurde ich nicht gerufen?« fragte Block mehr sich selbst als den Advokaten, hielt die Hдnde zum Schutze vor und war bereit, wegzulaufen. »Du wurdest gerufen«, sagte der Advokat, »trotzdem kommst du ungelegen.« Und nach einer Pause fьgte er hinzu: »Du kommst immer ungelegen.« Seitdem der Advokat sprach, sah Block nicht mehr auf das Bett hin, er starrte vielmehr irgendwo in eine Ecke und lauschte nur, als sei der Anblick des Sprechers zu blendend, als daЯ er ihn ertragen kцnnte. Es war aber auch das Zuhцren schwer, denn der Advokat sprach gegen die Wand, und zwar leise und schnell. »Wollt Ihr, daЯ ich weggehe?« fragte Block. »Nun bist du einmal da«, sagte der Advokat. »Bleib!« Man hдtte glauben kцnnen, der Advokat habe nicht Blocks Wunsch erfьllt, sondern ihm, etwa mit Prьgeln, gedroht, denn jetzt fing Block wirklich zu zittern an. »Ich war gestern«, sagte der Advokat, »beim Dritten Richter, meinem Freund, und habe allmдhlich das Gesprдch auf dich gelenkt. Willst du wissen, was er sagte?« »O bitte«, sagte Block. Da der Advokat nicht gleich antwortete, wiederholte Block nochmals die Bitte und neigte sich, als wolle er niederknien. Da fuhr ihn aber K. an: »Was tust du?« rief er. Da ihn Leni an dem Ausruf hatte hindern wollen, faЯte er auch ihre zweite Hand. Es war nicht der Druck der Liebe, mit dem er sie festhielt, sie seufzte auch цfters und suchte ihm die Hдnde zu entwinden. Fьr K.s Ausruf aber wurde Block gestraft, denn der Advokat fragte ihn: »Wer ist denn dein Advokat?« »Ihr seid es«, sagte Block. »Und auЯer mir?« fragte der Advokat. »Niemand auЯer Euch«, sagte Block. »Dann folge auch niemandem sonst«, sagte der Advokat. Block erkannte das vollstдndig an, er maЯ K. mit bцsen Blicken und schьttelte heftig gegen ihn den Kopf. Hдtte man dieses Benehmen in Worte ьbersetzt, so wдren es grobe Beschimpfungen gewesen. Mit diesem Menschen hatte K. freundschaftlich ьber seine eigene Sache reden wollen! »Ich werde dich nicht mehr stцren«, sagte K., in den Sessel zurьckgelehnt. »Knie nieder oder krieche auf allen vieren, tu, was du willst. Ich werde mich darum nicht kьmmern.« Aber Block hatte doch Ehrgefьhl, wenigstens gegenьber K., denn er ging, mit den Fдusten fuchtelnd, auf ihn zu, und rief so laut, als er es nur in der Nдhe des Advokaten wagte: »Sie dьrfen nicht so mit mir reden, das ist nicht erlaubt. Warum beleidigen Sie mich? Und ьberdies noch hier, vor dem Herrn Advokaten, wo wir beide, Sie und ich, nur aus Barmherzigkeit geduldet sind? Sie sind kein besserer Mensch als ich, denn Sie sind auch angeklagt und haben auch einen ProzeЯ. Wenn Sie aber trotzdem noch ein Herr sind, dann bin ich ein ebensolcher Herr, wenn nicht gar ein noch grцЯerer. Und ich will auch als ein solcher angesprochen werden, gerade von Ihnen. Wenn Sie sich aber dadurch fьr bevorzugt halten, daЯ Sie hier sitzen und ruhig zuhцren dьrfen, wдhrend ich, wie Sie sich ausdrьcken, auf allen vieren krieche, dann erinnere ich Sie an den alten Rechtsspruch: fьr den Verdдchtigen ist Bewegung besser als Ruhe, denn der, welcher ruht, kann immer, ohne es zu wissen, auf einer Waagschale sein und mit seinen Sьnden gewogen werden.« K. sagte nichts, er staunte nur mit unbeweglichen Augen diesen verwirrten Menschen an. Was fьr Verдnderungen waren mit ihm nur schon in der letzten Stunde vor sich gegangen! War es der ProzeЯ, der ihn so hin und her warf und ihn nicht erkennen lieЯ, wo Freund und wo Feind war? Sah er denn nicht, daЯ der Advokat ihn absichtlich demьtigte und diesmal nichts anderes bezweckte, als sich vor K. mit seiner Macht zu brьsten und sich dadurch vielleicht auch K. zu unterwerfen? Wenn Block aber nicht fдhig war, das zu erkennen oder wenn er den Advokaten so sehr fьrchtete, daЯ ihm jene Erkenntnis nichts helfen konnte, wie kam es, daЯ er doch wieder so schlau oder so kьhn war, den Advokaten zu betrьgen und ihm zu verschweigen, daЯ er auЯer ihm noch andere Advokaten fьr sich arbeiten lieЯ? Und wie wagte er es, K. anzugreifen, da dieser doch gleich sein Geheimnis verraten konnte? Aber er wagte noch mehr, er ging zum Bett des Advokaten und begann, sich nun auch dort ьber K. zu beschweren: »Herr Advokat«, sagte er, »habt Ihr gehцrt, wie dieser Mann mit mir gesprochen hat? Man kann noch die Stunden seines Prozesses zдhlen, und schon will er mir, einem Mann, der Fьnfjahre im Prozesse steht, gute Lehren geben. Er beschimpft mich sogar. WeiЯ nichts und beschimpft mich, der ich, soweit meine schwachen Krдfte reichen, genau studiert habe, was Anstand, Pflicht und Gerichtsgebrauch verlangt.« »Kьmmere dich um niemanden«, sagte der Advokat, »und tue, was dir richtig scheint.« »GewiЯ«, sagte Block, als spreche er sich selbst Mut zu, und kniete unter einem kurzen Seitenblick nun knapp beim Bett nieder. »Ich knie schon, mein Advokat«, sagte er. Der Advokat schwieg aber. Block streichelte mit einer Hand vorsichtig das Federbett. In der Stille, die jetzt herrschte, sagte Leni, indem sie sich von K.s Hдnden befreite: »Du machst mir Schmerzen. LaЯ mich. Ich gehe zu Block.« Sie ging hin und setzte sich auf den Bettrand. Block war ьber ihr Kommen sehr erfreut, er bat sie gleich durch lebhafte, aber stumme Zeichen, sich beim Advokaten fьr ihn einzusetzen.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16