А-П

П-Я

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  A-Z

 

« »Herr K.«, rief Frau Grubach, die nur auf diese Frage gewartet hatte, und hielt K. ihre gefalteten Hдnde hin. »Sie haben eine gelegentliche Bemerkung letzthin so schwer genommen. Ich habe ja nicht im entferntesten daran gedacht, Sie oder irgend jemand zu krдnken. Sie kennen mich doch schon lange genug, Herr K., um davon ьberzeugt sein zu kцnnen. Sie wissen gar nicht, wie ich die letzten Tage gelitten habe! Ich sollte meine Mieter verleumden! Und Sie, Herr K., glaubten es! Und sagten, ich solle Ihnen kьndigen! Ihnen kьndigen!« Der letzte Ausruf erstickte schon unter Trдnen, sie hob die Schьrze zum Gesicht und schluchzte laut.
»Weinen Sie doch nicht, Frau Grubach«, sagte K. und sah zum Fenster hinaus, er dachte nur an Frдulein Bьrstner und daran, daЯ sie ein fremdes Mдdchen in ihr Zimmer aufgenommen hatte. »Weinen Sie doch nicht«, sagte er nochmals, als er sich ins Zimmer zurьckwandte und Frau Grubach noch immer weinte. »Es war ja damals auch von mir nicht so schlimm gemeint. Wir haben eben einander gegenseitig miЯverstanden. Das kann auch alten Freunden einmal geschehen.« Frau Grubach rьckte die Schьrze unter die Augen, um zu sehen, ob K. wirklich versцhnt sei. »Nun ja, es ist so«, sagte K. und wagte nun, da, nach dem Verhalten der Frau Grubach zu schlieЯen, der Hauptmann nichts verraten hatte, noch hinzuzufьgen: »Glauben Sie denn wirklich, daЯ ich mich wegen eines fremden Mдdchens mit Ihnen verfeinden kцnnte?« »Das ist es ja eben, Herr K.«, sagte Frau Grubach, es war ihr Unglьck, daЯ sie, sobald sie sich nur irgendwie freier fьhlte, gleich etwas Ungeschicktes sagte. »Ich frage mich immerfort: Warum nimmt sich Herr K. so sehr des Frдulein Bьrstner an? Warum zankt er ihretwegen mit mir, obwohl er weiЯ, daЯ mir jedes bцse Wort von ihm den Schlaf nimmt? Ich habe ja ьber das Frдulein nichts anderes gesagt, als was ich mit eigenen Augen gesehen habe.« K. sagte dazu nichts, er hдtte sie mit dem ersten Wort aus dem Zimmer jagen mьssen, und das wollte er nicht. Er begnьgte sich damit, den Kaffee zu trinken und Frau Grubach ihre Ьberflьssigkeit fьhlen zu lassen. DrauЯen hцrte man wieder den schleppenden Schritt des Frдulein Montag, welche das ganze Vorzimmer durchquerte. »Hцren Sie es?« fragte K. und zeigte mit der Hand nach der Tьr. »Ja«, sagte Frau Grubach und seufzte, »ich wollte ihr helfen und auch vom Dienstmдdchen helfen lassen, aber sie ist eigensinnig, sie will alles selbst ьbersiedeln. Ich wundere mich ьber Frдulein Bьrstner. Mir ist es oft lдstig, daЯ ich Frдulein Montag in Miete habe, Frдulein Bьrstner aber nimmt sie sogar zu sich ins Zimmer.« »Das muЯ Sie gar nicht kьmmern«, sagte K. und zerdrьckte die Zuckerreste in der Tasse. »Haben Sie denn dadurch einen Schaden?« »Nein«, sagte Frau Grubach, »an und fьr sich ist es mir ganz willkommen, ich bekomme dadurch ein Zimmer frei und kann dort meinen Neffen, den Hauptmann, unterbringen. Ich fьrchtete schon lдngst, daЯ er Sie in den letzten Tagen, wдhrend derer ich ihn nebenan im Wohnzimmer wohnen lassen muЯte, gestцrt haben kцnnte. Er nimmt nicht viel Rьcksicht.« »Was fьr Einfдlle!« sagte K. und stand auf, »davon ist ja keine Rede. Sie scheinen mich wohl fьr ьberempfindlich zu halten, weil ich diese Wanderungen des Frдulein Montag – jetzt geht sie wieder zurьck – nicht vertragen kann.« Frau Grubach kam sich recht machtlos vor. »Soll ich, Herr K., sagen, daЯ sie den restlichen Teil der Ьbersiedlung aufschieben soll? Wenn Sie wollen, tue ich es sofort.« »Aber sie soll doch zu Frдulein Bьrstner ьbersiedeln!« sagte K. »Ja«, sagte Frau Grubach, sie verstand nicht ganz, was K. meinte. »Nun also«, sagte K., »dann muЯ sie doch ihre Sachen hinьbertragen.« Frau Grubach nickte nur. Diese stumme Hilflosigkeit, die дuЯerlich nicht anders aussah als Trotz, reizte K. noch mehr. Er fing an, im Zimmer vom Fenster zur Tьr auf und ab zu gehen und nahm dadurch Frau Grubach die Mцglichkeit, sich zu entfernen, was sie sonst wahrscheinlich getan hдtte.
Gerade war K. einmal wieder bis zur Tьr gekommen, als es klopfte. Es war das Dienstmдdchen, welches meldete, daЯ Frдulein Montag gern mit Herrn K. ein paar Worte sprechen mцchte und daЯ sie ihn deshalb bitte, ins EЯzimmer zu kommen, wo sie ihn erwarte. K. hцrte das Dienstmдdchen nachdenklich an, dann wandte er sich mit einem fast hцhnischen Blick nach der erschrockenen Frau Grubach um. Dieser Blick schien zu sagen, daЯ K. diese Einladung des Frдulein Montag schon lдngst vorausgesehen habe und daЯ sie auch sehr gut mit der Quдlerei zusammenpasse, die er diesen Sonntagvormittag von den Mietern der Frau Grubach erfahren muЯte. Er schickte das Dienstmдdchen zurьck mit der Antwort, daЯ er sofort komme, ging dann zum Kleiderkasten, um den Rock zu wechseln und hatte als Antwort fьr Frau Grubach, welche leise ьber die lдstige Person jammerte, nur die Bitte, sie mцge das Frьhstьcksgeschirr schon forttragen. »Sie haben ja fast nichts angerьhrt«, sagte Frau Grubach. »Ach, tragen Sie es doch weg!« rief K., es war ihm, als sei irgendwie allem Frдulein Montag beigemischt und mache es widerwдrtig.
Als er durch das Vorzimmer ging, sah er nach der geschlossenen Tьr von Frдulein Bьrstners Zimmer. Aber er war nicht dorthin eingeladen, sondern in das EЯzimmer, dessen Tьr er aufriЯ, ohne zu klopfen.
Es war ein sehr langes, aber schmales, einfenstriges Zimmer. Es war dort nur so viel Platz vorhanden, daЯ man in den Ecken an der Tьrseite zwei Schrдnke schief hatte aufstellen kцnnen, wдhrend der ьbrige Raum vollstдndig von dem langen Speisetisch eingenommen war, der in der Nдhe der Tьr begann und bis knapp zum groЯen Fenster reichte, welches dadurch fast unzugдnglich geworden war. Der Tisch war bereits gedeckt, und zwar fьr viele Personen, da am Sonntag fast alle Mieter hier zu Mittag aЯen.
Als K. eintrat, kam Frдulein Montag vom Fenster her an der einen Seite des Tisches entlang K. entgegen. Sie grьЯten einander stumm. Dann sagte Frдulein Montag, wie immer den Kopf ungewцhnlich aufgerichtet: »Ich weiЯ nicht, ob Sie mich kennen.« K. sah sie mit zusammengezogenen Augen an. »GewiЯ«, sagte er, »Sie wohnen doch schon lдngere Zeit bei Frau Grubach.« »Sie kьmmern sich aber, wie ich glaube, nicht viel um die Pension«, sagte Frдulein Montag. »Nein«, sagte K. »Wollen Sie sich nicht setzen?« sagte Frдulein Montag. Sie zogen beide schweigend zwei Sessel am дuЯersten Ende des Tisches hervor und setzten sich einander gegenьber. Aber Frдulein Montag stand gleich wieder auf, denn sie hatte ihr Handtдschchen auf dem Fensterbrett liegengelassen und ging es holen; sie schleifte durch das ganze Zimmer. Als sie, das Handtдschchen leicht schwenkend, wieder zurьckkam, sagte sie: »Ich mцchte nur im Auftrag meiner Freundin ein paar Worte mit Ihnen sprechen. Sie wollte selbst kommen, aber sie fьhlt sich heute ein wenig unwohl. Sie mцchten sie entschuldigen und mich statt ihrer anhцren. Sie hдtte ihnen auch nichts anderes sagen kцnnen, als ich Ihnen sagen werde. Im Gegenteil, ich glaube, ich kann Ihnen sogar mehr sagen, da ich doch verhдltnismдЯig unbeteiligt bin. Glauben Sie nicht auch?«
»Was wдre denn zu sagen?« antwortete K., der dessen mьde war, die Augen des Frдulein Montag fortwдhrend auf seine Lippe gerichtet zu sehen. Sie maЯte sich dadurch eine Herrschaft schon darьber an, was er erst sagen wollte. »Frдulein Bьrstner will mir offenbar die persцnliche Aussprache, um die ich sie gebeten habe, nicht bewilligen.« »Das ist es«, sagte Frдulein Montag, »oder vielmehr, so ist es gar nicht, Sie drьcken es sonderbar scharf aus. Im allgemeinen werden doch Aussprachen weder bewilligt, noch geschieht das Gegenteil. Aber es kann geschehen, daЯ man Aussprachen fьr unnцtig hдlt, und so ist es eben hier. Jetzt, nach Ihrer Bemerkung, kann ich ja offen reden. Sie haben meine Freundin schriftlich oder mьndlich um eine Unterredung gebeten. Nun weiЯ aber meine Freundin, so muЯ ich wenigstens annehmen, was diese Unterredung betreffen soll, und ist deshalb aus Grьnden, die ich nicht kenne, ьberzeugt, daЯ es niemandem Nutzen bringen wьrde, wenn die Unterredung wirklich zustande kдme. Im ьbrigen erzдhlte sie mir erst gestern und nur ganz flьchtig davon, sie sagte hierbei, daЯ auch Ihnen jedenfalls nicht viel an der Unterredung liegen kцnne, denn Sie wдren nur durch einen Zufall auf einen derartigen Gedanken gekommen und wьrden selbst auch ohne besondere Erklдrung, wenn nicht schon jetzt, so doch sehr bald die Sinnlosigkeit des Ganzen erkennen. Ich antwortete darauf, daЯ das richtig sein mag, daЯ ich es aber zur vollstдndigen Klarstellung doch fьr vorteilhaft hielte, Ihnen eine ausdrьckliche Antwort zukommen zu lassen. Ich bot mich an, diese Aufgabe zu ьbernehmen, nach einigem Zцgern gab meine Freundin mir nach. Ich hoffe, nun aber auch in Ihrem Sinne gehandelt zu haben; denn selbst die kleinste Unsicherheit in der geringfьgigsten Sache ist doch immer quдlend, und wenn man sie, wie in diesem Falle, leicht beseitigen kann, so soll es doch besser sofort geschehen.« »Ich danke Ihnen«, sagte K. sofort, stand langsam auf, sah Frдulein Montag an, dann ьber den Tisch hin, dann aus dem Fenster – das gegenьberliegende Haus stand in der Sonne – und ging zur Tьr. Frдulein Montag folgte ihm ein paar Schritte, als vertraue sie ihm nicht ganz. Vor der Tьr muЯten aber beide zurьck weichen, denn sie цffnete sich, und der Hauptmann Lanz trat ein. K. sah ihn zum erstenmal aus der Nдhe. Er war ein groЯer, etwa vierzigjдhriger Mann mit braungebranntem, fleischigem Gesicht. Er machte eine leichte Verbeugung, die auch K. galt, ging dann zu Frдulein Montag und kьЯte ihr ehrerbietig die Hand. Er war sehr gewandt in seinen Bewegungen. Seine Hцflichkeit gegen Frдulein Montag stach auffallend von der Behandlung ab, die sie von K. erfahren hatte. Trotzdem schien Frдulein Montag K. nicht bцse zu sein, denn sie wollte ihn sogar, wie K. zu bemerken glaubte, dem Hauptmann vorstellen. Aber K. wollte nicht vorgestellt werden, er wдre nicht imstande gewesen, weder dem Hauptmann noch Frдulein Montag gegenьber irgendwie freundlich zu sein, der HandkuЯ hatte sie fьr ihn zu einer Gruppe verbunden, die ihn unter dem Anschein дuЯerster Harmlosigkeit und Uneigennьtzigkeit von Frдulein Bьrstner abhalten wollte. K. glaubte jedoch, nicht nur das zu erkennen, er erkannte auch, daЯ Frдulein Montag ein gutes, allerdings zweischneidiges Mittel gewдhlt hatte. Sie ьbertrieb die Bedeutung der Beziehung zwischen Frдulein Bьrstner und K., sie ьbertrieb vor allem die Bedeutung der erbetenen Aussprache und versuchte, es gleichzeitig so zu wenden, als ob es K. sei, der alles ьbertreibe. Sie sollte sich tдuschen, K. wollte nichts ьbertreiben, er wuЯte, daЯ Frдulein Bьrstner ein kleines Schreibmaschinenfrдulein war, das ihm nicht lange Widerstand leisten sollte. Hierbei zog er absichtlich gar nicht in Berechnung, was er von Frau Grubach ьber Frдulein Bьrstner erfahren hatte. Das alles ьberlegte er, wдhrend er kaum grьЯend das Zimmer verlieЯ. Er wollte gleich in sein Zimmer gehen, aber ein kleines Lachen des Frдulein Montag, das er hinter sich aus dem EЯzimmer hцrte, brachte ihn auf den Gedanken, daЯ er vielleicht beiden, dem Hauptmann wie Frдulein Montag, eine Ьberraschung bereiten kцnnte. Er sah sich um und horchte, ob aus irgendeinem der umliegenden Zimmer eine Stцrung zu erwarten wдre, es war ьberall still, nur die Unterhaltung aus dem EЯzimmer war zu hцren und aus dem Gang, der zur Kьche fьhrte, die Stimme der Frau Grubach. Die Gelegenheit schien gьnstig, K. ging zur Tьr von Frдulein Bьrstners Zimmer und klopfte leise. Da sich nichts rьhrte, klopfte er nochmals, aber es erfolgte noch immer keine Antwort. Schlief sie? Oder war sie wirklich unwohl? Oder verleugnete sie sich nur deshalb, weil sie ahnte, daЯ es nur K. sein konnte, der so leise klopfte? K. nahm an, daЯ sie sich verleugne, und klopfte stдrker, цffnete schlieЯlich, da das Klopfen keinen Erfolg hatte, vorsichtig und nicht ohne das Gefьhl, etwas Unrechtes und ьberdies Nutzloses zu tun, die Tьr. Im Zimmer war niemand. Es erinnerte ьbrigens kaum mehr an das Zimmer, wie es K. gekannt hatte. An der Wand waren nun zwei Betten hintereinander aufgestellt, drei Sessel in der Nдhe der Tьr waren mit Kleidern und Wдsche ьberhдuft, ein Schrank stand offen. Frдulein Bьrstner war wahrscheinlich fortgegangen, wдhrend Frдulein Montag im EЯzimmer auf K. eingeredet hatte. K. war dadurch nicht sehr bestьrzt, er hatte kaum mehr erwartet, Frдulein Bьrstner so leicht zu treffen, er hatte diesen Versuch fast nur aus Trotz gegen Frдulein Montag gemacht. Um so peinlicher war es ihm aber, als er, wдhrend er die Tьr wieder schloЯ, in der offenen Tьr des EЯzimmers Frдulein Montag und den Hauptmann sich unterhalten sah. Sie standen dort vielleicht schon, seitdem K. die Tьr geцffnet hatte, sie vermieden jeden Anschein, als ob sie K. etwa beobachteten, sie unterhielten sich leise und verfolgten K.s Bewegungen mit den Blicken nur so, wie man wдhrend eines Gesprдchs zerstreut umherblickt. Aber auf K. lagen diese Blicke doch schwer, er beeilte sich, an der Wand entlang in sein Zimmer zu kommen.

Fьnftes Kapitel Der Prьgler

Als K. an einem der nдchsten Abende den Korridor passierte, der sein Bьro von der Haupttreppe trennte – er ging diesmal fast als der letzte nach Hause, nur in der Expedition arbeiteten noch zwei Diener im kleinen Lichtfeld einer Glьhlampe –, hцrte er hinter einer Tьr, hinter der er immer nur eine Rumpelkammer vermutet hatte, ohne sie jemals selbst gesehen zu haben, Seufzer ausstoЯen. Er blieb erstaunt stehen und horchte noch einmal auf, um festzustellen, ob er sich nicht irrte – es wurde ein Weilchen still, dann waren es aber doch wieder Seufzer. – Zuerst wollte er einen der Diener holen, man konnte vielleicht einen Zeugen brauchen, dann aber faЯte ihn eine derart unbezдhmbare Neugierde, daЯ er die Tьr fцrmlich aufriЯ. Es war, wie er richtig vermutet hatte, eine Rumpelkammer. Unbrauchbare, alte Drucksorten, umgeworfene leere irdene Tintenflaschen lagen hinter der Schwelle. In der Kammer selbst aber standen drei Mдnner, gebьckt in dem niedrigen Raum. Eine auf einem Regal festgemachte Kerze gab ihnen Licht. »Was treibt ihr hier?« fragte K., sich vor Aufregung ьberstьrzend, aber nicht laut. Der eine Mann, der die anderen offenbar beherrschte und zuerst den Blick auf sich lenkte, stak in einer Art dunkler Lederkleidung, die den Hals bis tief zur Brust und die ganzen Arme nackt lieЯ. Er antwortete nicht. Aber die zwei anderen riefen: »Herr! Wir sollen geprьgelt werden, weil du dich beim Untersuchungsrichter ьber uns beklagt hast.« Und nun erst erkannte K., daЯ es wirklich die Wдchter Franz und Willem waren, und daЯ der dritte eine Rute in der Hand hielt, um sie zu prьgeln. »Nun«, sagte K. und starrte sie an, »ich habe mich nicht beklagt, ich habe nur gesagt, wie es sich in meiner Wohnung zugetragen hat. Und einwandfrei habt ihr euch ja nicht benommen.« »Herr«, sagte Willem, wдhrend Franz sich hinter ihm vor dem dritten offenbar zu sichern suchte, »wenn Ihr wьЯtet, wie schlecht wir bezahlt sind, Ihr wьrdet besser ьber uns urteilen. Ich habe eine Familie zu ernдhren, und Franz hier wollte heiraten, man sucht sich zu bereichern, wie es geht, durch bloЯe Arbeit gelingt es nicht, selbst durch die angestrengteste. Euere feine Wдsche hat mich verlockt, es ist natьrlich den Wдchtern verboten, so zu handeln, es war unrecht, aber Tradition ist es, daЯ die Wдsche den Wдchtern gehцrt, es ist immer so gewesen, glaubt es mir; es ist ja auch verstдndlich, was bedeuten denn noch solche Dinge fьr den, welcher so unglьcklich ist, verhaftet zu werden? Bringt er es dann allerdings цffentlich zur Sprache, dann muЯ die Strafe erfolgen.« »Was ihr jetzt sagt, wuЯte ich nicht, ich habe auch keineswegs eure Bestrafung verlangt, mir ging es um ein Prinzip.« »Franz«, wandte sich Willem zum anderen Wдchter, »sagte ich dir nicht, daЯ der Herr unsere Bestrafung nicht verlangt hat? Jetzt hцrst du, daЯ er nicht einmal gewuЯt hat, daЯ wir bestraft werden mьssen.« »LaЯ dich nicht durch solche Reden rьhren«, sagte der dritte zu K., »die Strafe ist ebenso gerecht als unvermeidlich.« »Hцre nicht auf ihn«, sagte Willem und unterbrach sich nur, um die Hand, ьber die er einen Rutenhieb bekommen hatte, schnell an den Mund zu fьhren, »wir werden nur gestraft, weil du uns angezeigt hast. Sonst wдre uns nichts geschehen, selbst wenn man erfahren hдtte, was wir getan haben. Kann man das Gerechtigkeit nennen? Wir zwei, insbesondere aber ich, hatten uns als Wдchter durch lange Zeit sehr bewдhrt – du selbst muЯt eingestehen, daЯ wir, vom Gesichtspunkt der Behцrde gesehen, gut gewacht haben – wir hatten Aussicht, vorwдrtszukommen und wдren gewiЯ bald auch Prьgler geworden wie dieser, der eben das Glьck hatte, von niemandem angezeigt worden zu sein, denn eine solche Anzeige kommt wirklich nur sehr selten vor. Und jetzt, Herr, ist alles verloren, unsere Laufbahn beendet, wir werden noch viel untergeordnetere Arbeiten leisten mьssen, als es der Wachdienst ist, und ьberdies bekommen wir jetzt diese schrecklich schmerzhaften Prьgel.« »Kann denn die Rute solche Schmerzen machen?« fragte K. und prьfte die Rute, die der Prьgler vor ihm schwang. »Wir werden uns ja ganz nackt ausziehen mьssen«, sagte Willem. »Ach so«, sagte K. und sah den Prьgler genau an, er war braun gebrannt wie ein Matrose und hatte ein wildes, frisches Gesicht. »Gibt es keine Mцglichkeit, den beiden die Prьgel zu ersparen?« fragte er ihn. »Nein«, sagte der Prьgler und schьttelte lдchelnd den Kopf. »Zieht euch aus!« befahl er den Wдchtern. Und zu K. sagte er: »Du muЯt ihnen nicht alles glauben, sie sind durch die Angst vor den Prьgeln schon ein wenig schwachsinnig geworden. Was dieser hier, zum Beispiel« – er zeigte auf Willem – »ьber seine mцgliche Laufbahn erzдhlt hat, ist geradezu lдcherlich. Sieh an, wie fett er ist – die ersten Rutenstreiche werden ьberhaupt im Fett verlorengehen. – WeiЯt du, wodurch er so fett geworden ist? Er hat die Gewohnheit, allen Verhafteten das Frьhstьck aufzuessen. Hat er nicht auch dein Frьhstьck aufgegessen? Nun, ich sagte es ja. Aber ein Mann mit einem solchen Bauch kann nie und nimmermehr Prьgler werden, das ist ganz ausgeschlossen.« »Es gibt auch solche Prьgler«, behauptete Willem, der gerade seinen Hosengьrtel lцste. »Nein«, sagte der Prьgler und strich ihm mit der Rute derartig ьber den Hals, daЯ er zusammenzuckte, »du sollst nicht zuhцren, sondern dich ausziehen.« »Ich wьrde dich gut belohnen, wenn du sie laufen lдЯt«, sagte K. und zog, ohne den Prьgler nochmals anzusehen – solche Geschдfte werden beiderseits mit niedergeschlagenen Augen am besten abgewickelt – seine Brieftasche hervor. »Du willst wohl dann auch mich anzeigen«, sagte der Prьgler, »und auch noch mir Prьgel verschaffen. Nein, nein!« »Sei doch vernьnftig«, sagte K., »wenn ich gewollt hдtte, daЯ diese beiden bestraft werden, wьrde ich sie doch jetzt nicht loskaufen wollen. Ich kцnnte einfach die Tьr hier zuschlagen, nichts weiter sehen und hцren wollen und nach Hause gehen. Nun tue ich das aber nicht, vielmehr liegt mir ernstlich daran, sie zu befreien; hдtte ich geahnt, daЯ sie bestraft werden sollen oder auch nur bestraft werden kцnnen, hдtte ich ihre Namen nie genannt. Ich halte sie nдmlich gar nicht fьr schuldig, schuldig ist die Organisation, schuldig sind die hohen Beamten.« »So ist es!« riefen die Wдchter und bekamen sofort einen Hieb ьber ihren schon entkleideten Rьcken. »Hдttest du hier unter deiner Rute einen hohen Richter«, sagte K. und drьckte, wдhrend er sprach, die Rute, die sich schon wieder erheben wollte, nieder, »ich wьrde dich wahrhaftig nicht hindern, loszuschlagen, im Gegenteil, ich wьrde dir noch Geld geben, damit du dich fьr die gute Sache krдftigst.« »Was du sagst, klingt ja glaubwьrdig«, sagte der Prьgler, »aber ich lasse mich nicht bestechen. Ich bin zum Prьgeln angestellt, also prьgle ich.« Der Wдchter Franz, der vielleicht in Erwartung eines guten Ausgangs des Eingreifens von K. bisher ziemlich zurьckhaltend gewesen war, trat jetzt, nur noch mit den Hosen bekleidet, zur Tьr, hing sich niederkniend an K.s Arm und flьsterte: »Wenn du fьr uns beide Schonung nicht durchsetzen kannst, so versuche wenigstens, mich zu befreien. Willem ist дlter als ich, in jeder Hinsicht weniger empfindlich, auch hat er schon einmal vor ein paar Jahren eine leichte Prьgelstrafe bekommen, ich aber bin noch nicht entehrt und bin doch zu meiner Handlungsweise nur durch Willem gebracht worden, der im Guten und Schlechten mein Lehrer ist. Unten vor der Bank wartet meine arme Braut auf den Ausgang, ich schдme mich ja so erbдrmlich.« Er trocknete mit K.s Rock sein von Trдnen ganz ьberlaufenes Gesicht. »Ich warte nicht mehr«, sagte der Prьgler, faЯte die Rute mit beiden Hдnden und hieb auf Franz ein, wдhrend Willem in einem Winkel kauerte und heimlich zusah, ohne eine Kopfwendung zu wagen. Da erhob sich der Schrei, den Franz ausstieЯ, ungeteilt und unverдnderlich, er schien nicht von einem Menschen, sondern von einem gemarterten Instrument zu stammen, der ganze Korridor tцnte von ihm, das ganze Haus muЯte es hцren. »Schrei nicht«, rief K. er konnte sich nicht zurьckhalten, und wдhrend er gespannt in die Richtung sah, aus der die Diener kommen muЯten, stieЯ er an Franz, nicht stark, aber doch stark genug, daЯ der Besinnungslose niederfiel und im Krampf mit den Hдnden den Boden absuchte; den Schlдgen entging er aber nicht, die Rute fand ihn auch auf der Erde; wдhrend er sich unter ihr wдlzte, schwang sich ihre Spitze regelmдЯig auf und ab. Und schon erschien in der Ferne ein Diener und ein paar Schritte hinter ihm ein zweiter. K. hatte schnell die Tьr zugeworfen, war zu einem der Hoffenster getreten und цffnete es. Das Schreien hatte vollstдndig aufgehцrt. Um die Diener nicht herankommen zu lassen, rief er: »Ich bin es!« »Guten Abend, Herr Prokurist!« rief es zurьck. »Ist etwas geschehen?« »Nein, nein«, antwortete K., »es schreit nur ein Hund auf dem Hof.« Als die Diener sich doch nicht rьhrten, fьgte er hinzu: »Sie kцnnen bei Ihrer Arbeit bleiben.« Um sich in kein Gesprдch mit den Dienern einlassen zu mьssen, beugte er sich aus dem Fenster. Als er nach einem Weilchen wieder in den Korridor sah, waren sie schon weg. K. aber blieb nun beim Fenster, in die Rumpelkammer wagte er nicht zu gehen und nach Hause gehen wollte er auch nicht. Es war ein kleiner viereckiger Hof, in den er hinuntersah, ringsherum waren Bьrorдume untergebracht, alle Fenster waren jetzt schon dunkel, nur die obersten fingen einen Widerschein des Mondes auf. K. suchte angestrengt mit den Blicken in das Dunkel eines Hofwinkels einzudringen, in dem einige Handkarren ineinandergefahren waren. Es quдlte ihn, daЯ es ihm nicht gelungen war, das Prьgeln zu verhindern, aber es war nicht seine Schuld, daЯ es nicht gelungen war, hдtte Franz nicht geschrien – gewiЯ, es muЯte sehr weh getan haben, aber in einem entscheidenden Augenblick muЯ man sich beherrschen – hдtte er nicht geschrien, so hдtte K., wenigstens sehr wahrscheinlich, noch ein Mittel gefunden, den Prьgler zu ьberreden. Wenn die ganze unterste Beamtenschaft Gesindel war, warum hдtte gerade der Prьgler, der das unmenschlichste Amt hatte, eine Ausnahme machen sollen, K. hatte auch gut beobachtet, wie ihm beim Anblick der Banknote die Augen geleuchtet hatten, er hatte mit dem Prьgeln offenbar nur deshalb Ernst gemacht, um die Bestechungssumme noch ein wenig zu erhцhen. Und K. hдtte nicht gespart, es lag ihm wirklich daran, die Wдchter zu befreien; wenn er nun schon angefangen hatte, die Verderbnis dieses Gerichtswesens zu bekдmpfen, so war es selbstverstдndlich, daЯ er auch von dieser Seite eingriff. Aber in dem Augenblick, wo Franz zu schreien angefangen hatte, war natьrlich alles zu Ende. K. konnte nicht zulassen, daЯ die Diener und vielleicht noch alle mцglichen Leute kдmen und ihn in Unterhandlungen mit der Gesellschaft in der Rumpelkammer ьberraschten. Diese Aufopferung konnte wirklich niemand von K. verlangen. Wenn er das zu tun beabsichtigt hдtte, so wдre es ja fast einfacher gewesen, K. hдtte sich selbst ausgezogen und dem Prьgler als Ersatz fьr die Wдchter angeboten. Ьbrigens hдtte der Prьgler diese Vertretung gewiЯ nicht angenommen, da er dadurch, ohne einen Vorteil zu gewinnen, dennoch seine Pflicht schwer verletzt hдtte, und wahrscheinlich doppelt verletzt hдtte, denn K. muЯte wohl, solange er im Verfahren stand, fьr alle Angestellten des Gerichts unverletzlich sein. Allerdings konnten hier auch besondere Bestimmungen gelten. Jedenfalls hatte K. nichts anderes tun kцnnen, als die Tьr zuschlagen, obwohl dadurch auch jetzt noch fьr K. durchaus nicht jede Gefahr beseitigt blieb. DaЯ er noch zuletzt Franz einen StoЯ gegeben hatte, war bedauerlich und nur durch seine Aufregung zu entschuldigen.
In der Ferne hцrte er die Schritte der Diener; um ihnen nicht auffдllig zu werden, schloЯ er das Fenster und ging in der Richtung zur Haupttreppe. Bei der Tьr zur Rumpelkammer blieb er ein wenig stehen und horchte. Es war ganz still. Der Mann konnte die Wдchter totgeprьgelt haben, sie waren ja ganz in seine Macht gegeben. K. hatte schon die Hand nach der Klinke ausgestreckt, zog sie dann aber wieder zurьck. Helfen konnte er niemandem mehr, und die Diener muЯten gleich kommen; er gelobte sich aber, die Sache noch zur Sprache zu bringen und die wirklich Schuldigen, die hohen Beamten, von denen sich ihm noch keiner zu zeigen gewagt hatte, soweit es in seinen Krдften war, gebьhrend zu bestrafen. Als er die Freitreppe der Bank hinunterging, beobachtete er sorgfдltig alle Passanten, aber selbst in der weiteren Umgebung war kein Mдdchen zu sehen, das auf jemanden gewartet hдtte. Die Bemerkung Franzens, daЯ seine Braut auf ihn warte, erwies sich als eine allerdings verzeihliche Lьge, die nur den Zweck gehabt hatte, grцЯeres Mitleid zu erwecken.
Auch noch am nдchsten Tage kamen K. die Wдchter nicht aus dem Sinn; er war bei der Arbeit zerstreut und muЯte, um sie zu bewдltigen, noch ein wenig lдnger im Bьro bleiben als am Tag vorher. Als er auf dem Nachhausewege wieder an der Rumpelkammer vorbeikam, цffnete er sie wie aus Gewohnheit. Vor dem, was er statt des erwarteten Dunkels erblickte, wuЯte er sich nicht zu fassen. Alles war unverдndert, so wie er es am Abend vorher beim Цffnen der Tьr gefunden hatte. Die Drucksorten und Tintenflaschen gleich hinter der Schwelle, der Prьgler mit der Rute, die noch vollstдndig ausgezogenen Wдchter, die Kerze auf dem Regal, und die Wдchter begannen zu klagen und riefen: »Herr!« Sofort warf K. die Tьr zu und schlug mit den Fдusten gegen sie, als sei sie dann fester verschlossen. Fast weinend lief er zu den Dienern, die ruhig an den Kopiermaschinen arbeiteten und erstaunt in ihrer Arbeit innehielten. »Rдumt doch endlich die Rumpelkammer aus!« rief er. »Wir versinken ja im Schmutz!« Die Diener waren bereit, es am nдchsten Tag zu tun, K. nickte, jetzt spдt am Abend konnte er sie nicht mehr zu der Arbeit zwingen, wie er es eigentlich beabsichtigt hatte. Er setzte sich ein wenig, um die Diener ein Weilchen lang in der Nдhe zu behalten, warf einige Kopien durcheinander, wodurch er den Anschein zu erwecken glaubte, daЯ er sie ьberprьfe, und ging dann, da er einsah, daЯ die Diener nicht wagen wьrden, gleichzeitig mit ihm wegzugehen, mьde und gedankenlos nach Hause.

Sechstes Kapitel Der Onkel, Leni

Eines Nachmittags – K. war gerade vor dem PostabschluЯ sehr beschдftigt – drдngte sich zwischen zwei Dienern, die Schriftstьcke hineintrugen, K.s Onkel Karl, ein kleiner Grundbesitzer vom Lande, ins Zimmer. K. erschrak bei dem Anblick weniger, als er schon vor lдngerer Zeit bei der Vorstellung vom Kommen des Onkels erschrocken war. Der Onkel muЯte kommen, das stand bei K. schon etwa einen Monat lang fest. Schon damals hatte er ihn zu sehen geglaubt, wie er, ein wenig gebьckt, den eingedrьckten Panamahut in der Linken, die Rechte schon von weitem ihm entgegenstreckte und sie mit rьcksichtsloser Eile ьber den Schreibtisch hinreichte, alles umstoЯend, was ihm im Wege war. Der Onkel befand sich immer in Eile, denn er war von dem unglьcklichen Gedanken verfolgt, bei seinem immer nur eintдgigen Aufenthalt in der Hauptstadt mьsse er alles erledigen kцnnen, was er sich vorgenommen hatte, und dьrfte ьberdies auch kein gelegentlich sich darbietendes Gesprдch oder Geschдft oder Vergnьgen sich entgehen lassen. Dabei muЯte ihm K., der ihm als seinem gewesenen Vormund besonders verpflichtet war, in allem mцglichen behilflich sein und ihn auЯerdem bei sich ьbernachten lassen. »Das Gespenst vom Lande« pflegte er ihn zu nennen.
Gleich nach der BegrьЯung – sich in den Fauteuil zu setzen, wozu ihn K. einlud, hatte er keine Zeit – bat er K. um ein kurzes Gesprдch unter vier Augen. »Es ist notwendig«, sagte er, mьhselig schluckend, »zu meiner Beruhigung ist es notwendig.« K. schickte sofort die Diener aus dem Zimmer, mit der Weisung, niemand einzulassen. »Was habe ich gehцrt, Josef?« rief der Onkel, als sie allein waren, setzte sich auf den Tisch und stopfte unter sich, ohne hinzusehen, verschiedene Papiere, um besser zu sitzen. K. schwieg, er wuЯte, was kommen wьrde, aber, plцtzlich von der anstrengenden Arbeit entspannt, wie er war, gab er sich zunдchst einer angenehmen Mattigkeit hin und sah durch das Fenster auf die gegenьberliegende StraЯenseite, von der von seinem Sitz aus nur ein kleiner, dreieckiger Ausschnitt zu sehen war, ein Stьck leerer Hдusermauer zwischen zwei Geschдftsauslagen.
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